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Foto: SimonP, CC BY-SA 3.0.

Neues Wohnen in welchen Städten?

5 Kommentare

Robert Temel – Die aktuelle Forderung nach Zweckbindung der Wohnbauförderung scheint keine Gegner mehr zu haben. Zwar wollen jene Länder, die diese Mittel aktuell für andere Zwecke verwenden, die Zweckbindung lieber später als früher wieder einführen. Und zwischen SPÖ und ÖVP gibt es die üblichen ideologischen Differenzen, welcher Wohnbau nun eigentlich priorisiert werden sollte. Aber insgesamt widerspricht niemand dieser Forderung, die von vielen Institutionen, die mit Planen, Bauen und Wohnen befasst sind, schon lange erhoben wurde, darunter auch die Plattform für Baukultur. Insofern ist alles gut: Was noch vor wenigen Monaten unerreichbar schien, ist plötzlich Konsens.
Doch leider ist damit bei weitem noch nicht alles in Ordnung. Die Frage, wie der nötige zusätzliche Wohnbau finanziert werden soll, der erst ein Bremsen der aktuellen Preissteigerungen ermöglichen würde, kann nur im Zusammenhang mit Qualitäten diskutiert werden: Qualitäten des Wohnens sowie der Städte und Siedlungsräume, in denen diese Wohnbauten errichtet und bewohnt werden. Die Kosten des Wohnens liegen nämlich nicht nur in den Mieten und Kaufpreisen, die die Bewohner bezahlen. Sie liegen auch in Betriebskosten für Energie und Infrastruktur, in Mobilitätskosten und in Folgekosten des Ressourcenverbrauchs, die von den Bewohnern ebenso wie von der öffentlichen Hand, also uns allen zu tragen sind – nicht zu vergessen die kaum bezifferbaren Kosten, die durch Gebäude entstehen, die nicht die Lebensqualität ihrer Bewohner fördern, die nicht Nutzbarkeit und Nachhaltigkeit zum vorrangigen Ziel haben.

Am Beginn des 21. Jahrhunderts kann man nicht mehr, wie vielleicht noch in den 1970er Jahren, Schlafstädte mit Wohntürmen oder, am anderen Ende des ideologischen Spektrums, endlose Einfamilienhaus-Teppiche à la Los Angeles planen und errichten, sondern es braucht qualitätvolle Gebäude, qualitätvolle Siedlungsstrukturen und, als Voraussetzung dafür, qualitätvolle Planung unter Beteiligung der Bewohner. Wohnbauten und Siedlungsformen müssen dazu beitragen, motorisierten Individualverkehr zu reduzieren, Kosten für technische Infrastruktur gering zu  halten und den ausufernden Flächenverbrauch in Österreich massiv zu verringern. Aktuell werden hierzulande laut Umweltbundesamt jeden Tag (!) 24 Hektar für zusätzliche Siedlungs- und Verkehrsflächen verbraucht, das sind etwa 35 Fußballfelder – das liegt zehnfach über dem Reduktionsziel der österreichischen Nachhaltigkeitsstrategie. Das bedeutet, man kann nicht einfach Miet- oder Eigentumswohnungen möglichst preiswert aneinander reihen, sondern man muss Städte und Dörfer der „kurzen Wege“ bauen, ausgestattet mit öffentlichem Verkehr, mit hochwertiger sozialer Infrastruktur, mit Nahversorgungseinrichtungen, mit öffentlichen Räumen – und insbesondere mit Räumen, die sich die Bewohner dieser Städte und Dörfer aneignen können, in denen sie diese Räume selbst mit entwickeln können. Und es bedeutet auch, durch Förderung keine sozial homogenen Stadtviertel zu produzieren, sondern mit Wohnbau Segregation zu reduzieren statt zu erhöhen.

Diese Thematiken sind beileibe kein Wohlstandsdiskurs, der in Zeiten der Knappheit nichts verloren hat, sondern eine Notwendigkeit, um für uns und die nachfolgenden Generationen nachhaltige Lebensräume zu ermöglichen: Es braucht nicht nur leistbares Wohnen, sondern leistbare Städte und Dörfer. Die erreicht man nicht allein durch das Bauen von Wohnungen, die mit technokratischen Lösungen angeblich „nachhaltig“ gemacht werden, sondern durch umfassende Planung von dichten, lebenswerten, nachhaltigen Siedlungsräumen. Das heißt: Es braucht die Zweckbindung der Wohnbauförderung, und zwar nicht nur auf dem aktuellen Stand, sondern inklusive der Rückflüsse aus Wohnbauförderdarlehen und wertberichtigt, weil die Wohnbauförderung seit 1996 auf damaligem Stand eingefroren ist. Und es braucht zusätzlich die Qualitätsbindung der Wohnbauförderung, vor allem hinsichtlich nachhaltiger Siedlungsentwicklung – Wohnbaufördermittel sollten von den Ländern nur für jene Bauvorhaben vergeben werden können, die diesen Qualitätskriterien entsprechen.

Dieser Kommentar erschien erstmals in der Print-Ausgabe der Tageszeitung Der Standard am 10. April 2013.

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Autor
Robert Temel
ist Sprecher der Plattform Baukultur und Architektur- und Stadtforscher in Wien.

Bild:
Kreuzung Derry Road/Thompson Road, Milton, Ontario: Die Zukunft des Wohnbaus? Foto: SimonP, CC BY-SA 3.0.

5 Kommentare zu “Neues Wohnen in welchen Städten?

  1. Ja, für leistbares Wohnen auch außerhalb der Stadt!
    Die dichtbewohnten und bebauten Städte sollen entlastet werden. Die Häuser und Wohnungen bzw. Siedlungen sollen leistbar und mit den öffentlichen Verkehrsmitteln gut erreichbar sein. (weniger Lärm, weniger Stress, viel Grünflächen, mit guter Infrastruktur und keine „kleine u. enge“ Wohnräume!!)

  2. Mir scheint, dass oft die Funktionalität der Gebäude, Siedlungen, Wohnungen, welche in der letzten Zeit gebaut wurden, unter der populären Forderung nach Nachhaltigkeit (wie auch immer diese genau definiert ist) leidet. Man kann kompakter bauen, sollte aber im Auge behalten, dass es trotzdem genügend Raum rund um die Gebäude geben sollte. Und dieser Raum soll nicht nur als Platzhalter dienen, der anonymisiert, sondern auch benutzbar sein.

  3. Die Lebensqualität ist ein sehr wichtiger Punkt in der Planung von Wohnungen und Wohnkomplexen. Wie im Artikel beschrieben wird, brauchen und wollen wir, die Bewohner einer Stadt, leistbare Wohnungen in qualitätsvollen Gebäude und qualitätsvollen Siedlungsstrukturen. Aber zu dem Punkt „qualitätvolle Planung unter Beteiligung der Bewohner“ bzw. öffentliche Räume die Anrainer selbst mit entwickeln können- Ich kann mir nicht vorstellen, wie die Planung öffentlichen Raumes mit der Beteiligung der Bewohner funktionieren sollte. Wichtiger fände ich es, die öffentlichen Räume, die zur Verfügung gestellt werden, wirklich nutzen zu können. Zum Beispiel, die Wiese als Wiese nutzen zu können, einfach nur Mensch sein, ohne dabei von scharfen, tadelnden Augen aus dem Küchenfenster der Frau Nachbar beobachtet zu werden. Ein Umdenken in diese Richtung würde die Lebensqualität in Wohnsiedlungen auf jeden Fall steigern.

  4. Ich stimme insofern mit dem Autor überein, dass die Förderungen zweckgebunden sein müssen und die Ansuchenden sollten dafür Kriterien erfüllen müssen, um dem ‚falschen‘ Bauen ein Ende zu setzen, denn ohne Gesetze wird sich daran nichts ändern.

    Was die öffentlichen Räume in Wohnsiedlungen angeht, bin ich mit Ines Ruhs einer Meinung. Ein gemeinsames Planen ist schwer realisierbar und außerdem: für wen denn? Nicht einmal in Studentenheimen werden die Gemeinschaftsräume genutzt und wenn nur von kleinen Gruppen, die dort ohnehin wieder unter sich sein wollen, nur eben mit lauterer Musik, die nur dort erlaubt ist. Allgemein scheint mir der Durchschnittsösterreicher nicht offen für gemeinsam genutzten Raum zu sein. Dies zeigt sich schon in Bussen oder U-Bahnen. Eher bleibt man in Öffis stehen, als dass man sich zu Fremden (die man vielleicht schon täglich dort trifft) zu setzen. Warum sollte das beim Wohnen anders sein?

  5. Ich sehe es ähnlich wie Ines. Die teilweise künstlichen Parks oder Innenhöfe in Großstädten sind fürchterlich. Bliebe die Wiese so wie sie schon immer war, brächte es viel mehr Lebensqualität für die Bürger. Bürgerbeteiligungen finde ich bis zu einem gewissen Maß ok, aber übertreiben soll man es nicht. Vieles könnte so noch komplizierter werden, als es schon ist.

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