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Wiens neue Bauordnung könnte das Stadtbild verändern – gut so!

3 Kommentare

Michael Anhammer – Die jetzt angekündigte Novelle zur Wiener Bauordnung ist als politisches Programm der rot-grünen Stadtregierung zu lesen. Gut so, denn die Regeln, nach denen in Wien gebaut wird, wurden in den letzten Jahren zunehmend zur Wunschsammlung aller möglicher Interessen. Technische Anforderungen stiegen, Bauen und Wohnen wurde teurer, der Baukultur wurde dabei kaum eine Richtung gewiesen, noch wurden ihr Möglichkeiten geöffnet. Nun liegt ein Bekenntnis vor, worauf zukünftig Wert gelegt werden soll und wo es zukünftig Spielräume geben wird. Sieht man einzelne Punkte der Novellierung als programmatische Ansage, wohin sich die bauliche Identität Wiens entwickelt, darf man hoffen.

Dass Balkone nun auch über Gehsteige gebaut werden dürfen, wird das Stadtbild ändern. Jetzt stünde es der Stadt gut an nachzudenken, wie mit anderen, stadtgestalterisch relevanten Bausteinen künftig umgegangen werden darf. Dachgauben, Erker oder architektonische Zierglieder wurden in den letzten Jahren von guten Büros notgedrungen zweckentfremdet und statt als biederes Zierelement als skulpturale Spielmasse verarbeitet. Das ging gut, solange dies Behörden wohlwollend akzeptierten – und bis miese Investorenqualität auf den Zug aufsprang. Für die kleine aktuelle Balkonmaßnahme und die daraus resultierenden Fragen braucht es von Seite der Stadt Personen, die auf hohem Niveau über Stadtgestalt diskutieren wollen und können. Qualitative Projekte müssen mehr dürfen als uninspirierte Maximierungsarchitektur.

Die Politik wendet sich in dieser Novelle auch von Regelungen ab. Dieser Weg von der allumfassenden Behütung in das Abwägen von Wertigkeiten hat noch viel Potential. Nicht „überall alles“, sondern „überall das, was nötig ist und davon ausreichend“, könnte der künftige Weg sein. Notkamine sind künftig nicht mehr verpflichtend vorgeschrieben. Hoffentlich nur ein erstes Zeichen.

Die Frage, wer in Wien was zu welchen Bedingungen bauen darf, wird ebenfalls explizit angesprochen. Erstmals gibt es hier Konkretes im Umgang mit Investoren. Diese Qualitäten der Diskussion mit den flankierenden kooperativen Verfahren sind ein neues Kapitel im Umgang der Stadt Wien mit Baukultur. Sie befinden sich dementsprechend im Experimentalstadium. Das ist vielleicht der mutigste Schritt. Ein Schritt, der durch die Wiener Qualitäten des Aussitzens, keine Entscheidungen treffen oder des sich nicht in die Karten schauen Lassens, zur Zeit nicht immer zum erhofften Erfolg führt. Aber allein der Mut und die Freude, Neues auszuprobieren, stehen dieser Stadt gut an.

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Autor:
Michael Anhammer
Sue Architekten
http://sue-architekten.at/

foto: rotkraut.c.r. creatice commons by-nc-sa

3 Kommentare zu “Wiens neue Bauordnung könnte das Stadtbild verändern – gut so!

  1. Lieber Herr Anhammer!

    Interessanter Artikel, dem ich mich fast zur Gänze anschliessen kann.

    Nur, was die NOTwendigkeit von NOTkaminen betrifft, bin ich als Mieter einer Altbauwohnung doch eher dafür, dass alles was mit NOT zu tun hat, auch verpflichtend gemacht werden soll.

    Aus der Sicht eines Vermieters macht es vielleicht Sinn, jeden einzelnen Cent zu sparen, aber ich als Mieter bestehe dann doch auf eine gewisse Versorgungssicherheit…falls es mal zu einer Krise kommen sollte, oder wie sehen Sie das?

    Beste Grüße,
    HW

  2. Dass Balkone über Gehsteige gebauten würden *dürften* sollte es heißen. In der Realität benötigt man noch immer 100% Zustimmung der eigenen und angrenzenden Liegenschaften – leider. Aber am Stadtrand wird sicher mehr Balkone geben.

  3. Gesetze und Bauordnungen stellen einen Leitfaden für das sichere Umgehen mit der Baumaterie dar, sind jedoch längst überholungsbedürftig. Die neue Möglichkeit über Gehsteige zu bauen ist ein wichtiger Schritt zu einer Stadtlandschaft, die sich nicht nur durch die Grundstücksbegrenzungen definieren lässt. Der Versuch den öffentlichen und privaten Raum auf diese Weise zu verknüpfen und zu nutzen könnte das Stadtbild verbessern und eine Verbindung zur Stadt selbst aufzubauen. Jemand, der eine stärkere Bindung zur Stadt und dem öffentlichen Raum entwickelt geht auch bewusster mit dieser um, versucht einen eigenen Beitrag dazu zu leisten. Es stärkt das Gemeinschaftsgefühl und verhilft uns durch eine Kooperation Dinge zu erreichen die wir als Einzelner nicht bewältigen könnten. Natürlich entsteht hierdurch Konfliktpotential, doch ohne den Versuch zu wagen würden wir an einer Stelle verharren, die nicht das Optimum für alles darstellt.

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