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Architektonische Silhouetten in Salzburg

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maxRIEDER – Bestand und Zukunft der «Welthauptstadt des Provinziellen» Dieser Artikel ist ein skizzenhafter Erklärungsversuch für den apostrophierten, selbst gewählten Anspruch Salzburgs, Weltdorfstadt zu sein – und seines Scheiterns. Dabei sollen das Phänomen des Gesamtkunstwerks Salzburg, die zeitgenössische Architektur sowie deren Zukunftschancen beleuchtet werden.

Salzburg ist eine Kleinstadt
Diese Kleinstadt hat aufgrund ihrer Baugeschichte einen Weltruf. Erzbischöfe – also Bauherren – bauten hier mit italienischen Anregungen; andernfalls wäre Salzburg zum üblichen mittelalterlichen Restfragment geworden, das wie alle Städte dieser Provenienz trivialisierend modernisiert worden wäre. Diese günstige Ausgangslage und das zufällige weitgehende Verschontbleiben von Alliiertenbombardements – seiner verschlafenen Grenzrandlage fern bayrischer und österreichischer Metropolen zu verdanken – führte dazu, dass die Stadt später von Künstler-Aussteigern wiederentdeckt wurde und in der Folge dank den Salzburger Festspielen unter dem Berliner Max Reinhardt zum elitären Musik-Goa von Österreich avancierte. Das Spektakel um den Jedermann beförderte den Gründungsmythos der «Welthauptstadt des Provinziellen».

Entwicklungsgeschichte und historischer Abriss
Das Salzburger Erzbistum hatte durch seine Ressource Salz und den Zugang zur Querungsroute über die Tauern jahrhundertelang zwei Alleinstellungsmerkmale. Diese manifestierten sich in – gemessen an seiner Kleinheit – doch sehr residenz- und prunkhaften Bauten und einer ausgeprägten Hofkultur. Das Beziehungsnetz zum katholischen und römischen Adelsklerus und das Innehaben aller Insignien der politischen Macht eröffneten hier besondere Möglichkeiten. Zudem verlief die Reiseroute aus dem nördlich gelegenen Bayern nach Italien durch die Stadt, weshalb sie auch von kulturellen Einflüssen aus diesen Gegenden geprägt wurde.

Wien und Oberösterreich wurden erst nach Napoleons Lebzeiten im 19. Jahrhundert relevant, als die Kirche einen säkularen Machtverlust hinnehmen musste und Demokratie und Bürgertum an Einfluss gewannen. Die Salzburger Bürger hatten somit erst relativ kurze Zeit einen gewissen Einfluss; davor waren sie vielmehr manipulierbare Untertanen.

Nach der Jahrhundertwende wurden zunehmend von Ärzten empfohlene heilklimatische Kuraufenthalte und der Trend der Sommerfrische auch in Österreich zum Entwicklungsmotor einzelner ländlicher Regionen (hier Salzkammergut, Gasteinertal und Zeller See). Insbesondere Bad Gastein wandelte sich zu einer frühen alpin-urbanen Stadt am Talschluss, erhielt einen europäischen Bahnanschluss und entwickelte einen singulären, mittlerweile niedergegangenen Charme für solche Kurzaufenthalte.

Ungnadekultur der Machthaber
Der Salzburger Hof, an dem eine Mischung aus Katholizismus, Adel, Bereicherungs- und Selbstdarstellungsinteressen vorherrschte, liess Künstler und Musiker zu sich bestellen. Dieses Muster, wie Machthaber mit Künstlern und Intellektuellen umgingen, ist bis zur heutigen Bürgermeisterkultur in Salzburg präsent geblieben. 1524 liess sich der Wunderarzt Theophrastus Bombastus von Hohenheim, genannt Paracelsus, auf Geheiss des Erzbischofs in Salzburg nieder, fiel aber durch selbstständiges Querdenken in Ungnade. Auch das ist ein typisches, für Salzburger selbstverständliches Prinzip, das ironischerweise vielen hier geborenen oder herbeorderten Forschern und Künstlern für ihren späteren Weltruhm zugute kam. So stellte auch Paracelsus nach Verlassen des Salzburger Hofes neue internationale Kontakte her und konnte von Freiburg aus mit dem wohl grössten Denker der damaligen Zeit in universitären Austausch treten – dem Humanisten Erasmus von Rotterdam.

Das Leben des vermutlich berühmtesten Sohnes von Salzburg, Wolfgang Amadeus Mozart, gibt ein weiteres Beispiel vom üblichen Umgang der Salzburger Machthaber mit Geist, Kreativität, Kunst und Innovation. Missachtet, genervt und vertrieben konnte auch er in der Ferne mit seinen Talenten zu Weltruhm gelangen. Die Salzburger Entscheidungsträger waren und sind eher Kunst- und Kulturhändler – kaufen also fremde Erfahrungen und bereits Etabliertes ein, statt selbst zu experimentieren und zu fördern. Das Eigene zu entdecken scheint in Salzburg eine fundamentale Unmöglichkeit; vielmehr kann nur das woanders Erprobte hier «aufgeführt» werden.

Die Liste der Talente und späteren Genies aus Salzburg und der Region – wie Christian Doppler, Hans Makart, Georg Trakl, Alfred Kubin (lebte von 1887 bis 1892 in Salzburg), Stefan Zweig (lebte von 1918 bis 1930 in Salzburg), Günter Eich (lebte von 1963 bis 1972 in Salzburg), Thomas Bernhard (lebte von 1946 bis 1965 in Salzburg), H. C. Artmann (lebte von 1972 bis 2000 in Salzburg), Peter Handke (lebte von 1979 bis 1987 in Salzburg), Hubert von Goisern bis hinauf zum Stratosphärenspringer Felix Baumgartner – ist lang und steht repräsentativ für Vertreter dieser politischen Kultur der Ungnade und Vertreibung des Kreativen und Besonderen.
Geistige Grössen wie der Philosoph und Begründer des Nationalparks Leopold Kohr oder Robert Jungk, Mitbegründer der Umwelt- und Friedensbewegung (lebte ab 1980 in Salzburg) werden bis heute beargwöhnt und ihre Nachfolgeinstitutionen nur gering subventioniert.

Lediglich vermarktungsfähige und somit «brauchbare» Idole wie Joseph Mohr und Franz Xaver Gruber als Schöpfer von Stille Nacht, Heilige Nacht, Herbert von Karajan (1908 bis 1989), der «Herminator» Hermann Maier, der in Zell am See residierende Porsche-Clan oder RedBull sind beliebtere Figuren am Salzburg-(Klischee-)Markt. Elemente aus der Sound-of-Music-Welt mit der alpinen Archaik der romantisierenden, gleichsam heilenden «Schönlandschaften» Salzburgs lassen sich als positiv besetzte Weltmarke im Zuge symbiotischer Marketingstrategien nutzbar machen. Technologieunternehmen bis hin zu Think Tanks siedeln durch die eklatante Unterdotierung der Salzburger Forschungs- und Wissenschaftssphäre trotz positiver Softfacts ihre Standorte extrem selten hier an. Sie sind eher im bayrischen Raum beheimatet.

Salzburg als Vorläufer und Prototyp der Tourismus- und Sehnsuchtsindustrie
Die historistisch austauschbaren Belle-Époque-Hotelburgen inmitten der naturlandschaftlichen Dramatik der Wasserfälle in Bad Gastein und die Salzburger Festung, gerahmt von einer Unzahl an Kirchensilhouetten, wurden zu international bekannten Klischee-Postkartenmotiven. Somit wurde ein wesentlicher Kern der Salzburger Identität durch «unveränderliche romantisierend-heilende Bilder» in gängiger Szenerie gefestigt.

Der Prototyp der städtischen Kulturlandschaftsvermarktung wurde jedoch bereits 1826 durch das sogenannte Sattler-Panorama – ein Ölbild von Salzburg und Umgebung mit der unglaublichen Länge von fast 26 Laufmetern – durch den Maler Johann Michael Sattler geschaffen. Dieses Panorama tourte dann zehn Jahre lang durch europäische Hauptstädte und leistete frühe Dienste für Salzburg. Heute liegt es unauffindbar im Hinterhof der Landesverwaltung.

Noch früher hatte angeblich bereits der weltreisende Forscher Alexander von Humboldt, der 1797 ein halbes Jahr in Salzburg lebte, einen Grundstein zum späteren Mythos gelegt mit dem Spruch: «Die Gegenden von Salzburg, Neapel und Konstantinopel halte ich für die schönsten der Erde.»

Für die hier geborenen oder aufgewachsenen Architekten war das Leben in der Stadt – und ist noch bis heute – hingegen immer existenziell bedrohlich, sodass sie stets bald die Stadt verliessen. Persönlichkeiten wie Camillo Sitte (Städtebau nach seinen künstlerischen Grundsätzen, 1889), zahlreiche Otto-Wagner-Schüler sowie Clemens Holzmeister und sein Schüler-Clan von Friedrich Achleitner, Johann Georg Gsteu, Wilhelm Holzbauer, Friedrich Kurrent bis Hans Puchhammer und Johannes Spalt sind hier zu nennen. Adolf Krischanitz und Rüdiger Lainer gehören ebenso zu jenen, die so rasch wie möglich von Salzburg weggingen – und stehen beispielhaft für viele weitere.

Über das Erben und die Innovationskraft Humboldt hatte die Schönheit der Stadt und ihrer Umgebung bereits 1797 erkannt, und ab da war Bestandsverwaltung angesagt. Der prägende politische Konsens lautet: «Temporäre Weltspektakel für Saturierte aus anderen (hässlicheren) Gegenden.» Salzburg zieht ästhetisch Abgestumpfte für den permanenten oder kurzen Aufenthalt an und macht damit sein wesentliches Tourismusgeschäft. Das Postulat der Zumutbarkeit für den Gast ist Prüfstein für alles Neue, Innovative und Unkonventionelle.

Salzburg ist Erbenland und insofern zentraler Teil einer mitteleuropäischen Problematik der Überalterung und des geistig-künstlerischen Stillstandes – «verwalten statt gestalten». Dabei sind die Fremden – im späteren internationalen Slogan als Touristen und noch später durch die Marketingmaschine verharmlosend als «Gäste» bezeichnet – vom erzbischöflichen und orografischen Erbe (Berge, Schluchten, Wälder, Flüsse, Seen und Almen) ohnedies so beeindruckt, dass sie die gebauten Anlagerungen der letzten Jahrzehnte als virtuelle Realität transzendieren. Dies schmerzt, weil ja das gewählte Selbstbild und das Anspruchsdenken der Salzburger überhaupt nicht mit dem Realprospekt zur Deckung kommt. Das ist für die Möchtegern-Kunst-und-Kultur-Gegend Salzburg besonders diskrepant.

Salzburg rettete seinen Glanz aus der Vergangenheit nur deshalb, weil die Einheimischen das Moderne nicht als wertvoll erkannten, als Untertanen in Agonie, gelangweilt alpin-agrarisch-katholisch wie xenophob an Erlösung und Aberglauben festhielten.

Die Szenerie
Die Szenerie besteht aus Bestand. Das Ist überwiegt dabei das zukünftig Mögliche; die Bestandspflege konsumiert alle Kräfte. Die Salzburger Kreativ- und Alternativszene ist überschaubar. Als alternativ gilt hier bereits, wenn das Erbe unkritisch und wirtschaftlich denkend in Klischees – Volksmusik, Trachtenkleidung, Holzbau – umgesetzt wird.

Die Gegenwart besteht folglich aus der gewinnträchtigen Verwertung und Verwaltung der Vergangenheit. Der wesentliche Salzburg-Player ist dabei die stille Ressource Baugrund. In Salzburg «arbeitet» vor allem der Grundpreis. Was hier gebaut wird, ist zwar immer zu 1200 bis 2200 Euro pro Quadratmeter (Stand 2012) realisierbar, wird aber um mindestens 3600 bis 5200 Euro pro Quadratmeter weiterverkauft. Das Land ist in fester Hand der Immobilien- und Bauträgerkultur (die Banken sind dabei camoufliert), welche der Politik bisher ihre Handlungsweise vorschreibt. Die agierenden Architekten sind fast ausschliesslich Dienstleister und dekorieren den Grundpreis, statt räumliche und milieuhafte Werte zu begründen. Genutzt werden kann ja ohnedies alles. Da zudem im Umkreis von 150 Kilometern keine fachbezogene universitäre Ausbildungsstätte vorhanden ist, agiert man in der wüsten Oase der Bauwirtschaft.

Universitätsprofessoren und Vortragende kommen allerdings gerne nach Salzburg, sind doch die postbarocken Zustände und die Nähe zu aussergewöhnlichen (Landschafts-)Attraktionen aus Seen, Fluss, Wald, Berg, Almen, Altstadt, Essen, Kulturgeschehen etwas wirklich Singuläres und dadurch wird das Ganze zu einem relax-and-convenience-SalzburgSpa-Gesamtkunstwerk. Es lebt sich sommers wie winters unbeschwert in dieser etablierten Kultur- und Erholungsmaschinerie.

Tourismus als katalysierende bauliche Kraft – Bauherrenkultur der besonderen Art
Horror Vacui oder: Es lebe der Innenausstatter – so lässt sich die boomende Winter- und Sommer-Sport-/Erholungsindustrie beschreiben.

Wenn Dave Brubeck sagte, Claude Debussy sei der Wegbereiter des Jazz, so müsste das bauliche Erbe Salzburgs der Wegbereiter des Historismus, der Postmoderne und des Kontextualismus sein. Darüber lässt sich aber in Salzburg nicht diskutieren – und schon gar nicht forschen und lehren, denn es gibt hier ja keine universitäre Auseinandersetzung mit Architektur und Baukultur. Camillo Sitte verliess die Staatsgewerbeschule Salzburg 1893 nach achtjähriger Lehrtätigkeit, um nach Wien zu gehen.

Die Architektur auf den lebensnotwendigen Tourismus anzuwenden, wäre eine andere Möglichkeit der baulichen Weiterentwicklung gewesen. Diese Chance ist bis heute nicht wahrgenommen worden. Stattdessen wurde der Bestand ins Museale überführt: Die alpine Landschaft in den Nationalpark, agrarische Bauten in das Freilichtmuseum Großgmain und die städtischen Bauformen in das Freilichtmuseum Altstadt Salzburg. Die kritische Auseinandersetzung mit Landschaft und Bauwerken wurde an anderen Orten und Personen geführt. Man mag an Lucius Burckhardt in Ulm, Kassel und Zürich denken, an Friedrich Achleitner in Wien, Othmar Barth und Josef Lackner in Innsbruck, Hugo Dworzak in Vaduz, Basel, Luzern, Trier, Udine, Laibach, und so weiter; selbst in Linz gibt es unter Roland Gnaiger ein Architekturbewusstsein, aber mangels universitärer Basis im Artefakt Salzburg eben nicht.

So hat der Tourismus als wirtschaftlicher Motor der Region Salzburg bis heute keine aufsuchenswerte architektonische Hotelanlage hervorgebracht. Im Gegenteil – die dolomitischen und tirolerischen Peinlichkeiten werden in den Sommer- und Winterdestinationen konsequenzlos überboten. Hoffnung verspricht einzig eine veritable Krise.

Salzburg und die Musik oder: Zur Moral des Salzburg-Festivals Jedermann
Dieses Thema scheint nur durch Opernaufführungen im Tiefschnee getoppt werden zu können.
Das Moralisierende des Bühnen-Welttotentanzes Jedermann (Das Spiel vom Sterben des reichen Mannes, Hugo von Hofmannsthal) als Inszenierung des Mammons erweist sich als durch und durch postkatholische Liturgie. 2013 wurden bei den Festspielen circa 286 000 Besucher beziehungsweise Eintrittskarten innerhalb weniger Wochen gezählt. Die etwa 145 000 Einwohner Salzburgs nehmen daran vielleicht zu zehn Prozent teil. Mit dieser Festspielgeschichte geht die PPP-Festivalwelt einher, und die prominentesten Sponsoren sind allesamt Weltplayer. «Salzburg – Stage of the World.»

Salzburg und die Kunst
Oskar Kokoschka gründete und leitete ab 1953 die Internationale Sommerakademie für Bildende Kunst Salzburg. Diese etablierte Kunst-Crossover-Akademie im «schönsten Atelier der Welt, der Hohen Festung» konnte viele internationale Kunstgrössen temporär für die Lehre gewinnen. Die Salzburger Verwaltung und Politik hingegen zeichnet sich seit sechzig Jahren durch Ignoranz gegenüber dem dortigen Geschehen aus.

Auch zahlreiche international bekannte Architekten unterrichteten dort (unter anderem Konrad Wachsmann, Jacob Bakema, Georges Candelis, Hans Hollein, Coop Himmelb(l)au, Itsuko Hasegawa) und entwickelten dabei zahlreiche Visionen für die Stadt Salzburg, deren Veröffentlichung teilweise durch Lokalmedien sabotiert wurde.

Für Kunstschaffende und Architekten ist das Salzburger Pflaster ein schwieriger Bau- und Kunstgrund.

Meist sind ihre Gedanken dem Verständnis von Provinzpolitik und -medien Jahrzehnte voraus, obwohl sie dem Status quo des internationalen Diskurses entsprechen. So ist Salzburg ironischerweise eine «Welthauptstadt des Provinziellen», trotz wiederkehrender Aufläufe des Musikgeschehens zu Salzburger und sonstigen Festspielen. Dies geht einher mit der Nichtpräsenz der Universitäten im öffentlichen Diskurs und Raum. So wird die Weltelite-Ausbildungsstätte Universität Mozarteum vonseiten der Stadtpolitik komplett ignoriert, obwohl diese Institution doch die maximale Wertschöpfung für Salzburg generiert – nämlich die permanente Wiederholung des Althergebrachten und Klassischen in der Musik. Neue Musik gibt es, wenn, dann in Linz. Dennis Russel Davies hat zwar eine Professur für Dirigieren am Mozarteum inne, ist aber Opernchef in Linz.

Architektonischer Erb-Abriss Salzburg
Salzburgs architektonische Errungenschaften sind phänomenaler Natur und singuläre Einzelleistungen. Die Entwicklung eines Architekturstils, einer Architekturschule oder Strömung ist hier weder nachweisbar noch naheliegend.

Die Raumkontinuitäten um den Salzburger Dom – nach Ideen von Vincenzo Scamozzi – sind als einzelne Platzfolgen in der Altstadt entstanden, welche durch Schwellen, Übergänge, räumliche Modulationen, Fernbeziehungen und Umspülungen von Kolossalbauten (Klöster, Kirchen und Residenzen) ihren heutigen Gesamtcharakter erhielten. Diese haptisch pulsierenden Räume des Repräsentativen laden zum Flanieren ein und werden durch die Fern/Nah-Beziehungen der Stadtberge und des Alpenvorlandes gänzlich zur Szenerie und Bühne.

Das zweite Phänomen Salzburgs sind bauliche Ensembles aus unterschiedlichsten Epochen und Baustilen, die über Wand- und Dachlandschaften fast miteinander verschmelzen. Innerhalb dieser Verschmelzung konnte beziehungsweise musste sich Handwerk und Bürgertum zum Kleinbürgertum entwickeln, wie im Gegensatz dazu die Kolosse des Erzbistums unangetastet für sich Platzraum beanspruchen konnten.

Die solitären Bauwerke entstanden im Altstadtraum lediglich als Kirchen und Schlösser, wie dies Johann Bernhard Fischer von Erlach von 1693 bis 1707 ausprägte. Der (Salzburger) Barock wurde in witterungs-rationalerem (also abstrahiertem) Gewand als zum Beispiel in Bayern realisiert und kann als ein baukulturelles Grundmaterial für die nachfolgende Architektur gelten.

Das Formenfundament des Manierismus, des Barocken und Expressiven verlor sich auf dem Weg in die Gegenwart bis auf wenige bauliche Spuren. Sind doch in Salzburg Raum und Paradigma für die Melange (Kaffeetyp wie Ensemble) als transformatorische Kraft sowie der konstrastierende Einspänner (Kaffeetyp und Solitär) zunächst in Vergessenheit geraten. Letztendlich siegte jedoch der Einspänner als Brauner und Kleiner Schwarzer in Salzburg (Siedlungsbrei).

Ein singuläres, wenig beachtetes Werk versteckt sich im Schlosspark Hellbrunn – das sogenannte Steintheater. Das vor 1617 aus dem Konglomeratfelsen herausgearbeitete Werk eines Unbekannten steht für den Prototyp der Bühne Salzburg als Verschmelzung von Natur und Kunst zur Architekturlandschaft. Dieses Potenzial aufzunehmen gelang bisher nur wenigen Protagonisten. Zu nennen ist Johann Bernhard Fischer von Erlach mit der Felsenreitschule von 1693 und dann erst wieder 240 Jahre später Clemens Holzmeister mit der Fauststadt in der Felsenreitschule, sowie 1937/1938 mit Bühnenturm und Treppenanlage.

Clemens Holzmeister hat mit seinen Neuinterpretationen lokaler Traditionen zwischen Expressivität und Einfachheit sicherlich einen interpretatorischen Schlüssel für die Dialektik, Poesie und Verschmelzung von Landschaft und Bauwerk zu einem Phänomen geliefert. Dies ist essenzieller Teil einer minimalen Salzburger Gemeinsamkeit von Tektonik und unterschiedlichen Abstraktionsgraden bis zum Manierismus. Mit der verspäteten Ankunft der Moderne in Salzburg war die Chance vorbei, diese Architekturlandschaften weiterzuentwickeln und eine Salzburger Spezifität daraus zu machen. Lediglich das Felsenbad in Bad Gastein von Gerhard Garstenauer aus dem Jahr 1968 rückte die Moderne noch einmal an den Fels.

Der Historismus – die Gründerzeit, die in allen europäischen Metropolen wesentlichen städtebaulichen und architektonischen, umgestaltenden Einfluss hatte, wirkte in Salzburg nur marginal. Lediglich die spekulative Begradigung der Salzach zur Gewinnung neuen Baulandes inmitten der an ihren Ufern gelegenen Altstadt ermöglichten einen neuen Prospekt mit wenigen gründerzeitlichen Bauwerken im historischen Bild der Kernstadt. Bemerkenswert ist allerdings, dass dabei nicht wie allerorts Blöcke und Strassenzüge entstanden, sondern gründerzeitliche Solitäre, als Luxusresidenzen und Kaivillen am Salzachufer platziert – jedoch ohne architektonische Bedeutung.

Nach der Gründerzeit nahmen Otto-Wagner-Schüler und Münchner Akademie-Schüler in Salzburg architektonische Sonderaufgaben wahr. Peter Behrens etwa hat hier mit dem 1926 errichteten Kolleg St. Benedikt ein einziges Mal gewirkt. Nach ihm die prägendste Persönlichkeit ist mit Clemens Holzmeister auf der Bühne erschienen. Um 1925 fand er – auf Überlegungen Poelzigs für das Theater am Hellbrunnerberg aufbauend – für seine Idee eines Festspielbezirkes fruchtbaren Boden im klerikalen, rückschrittlichen Salzburg. Die ehemaligen Stallungen sowie die Winterreit- und Sommerreitschule aus dem historischen Erbe sollten in Baumassnahmen voralpiner Semantik samt mythologischer Anlehnung aufgehen. Holzmeisters Lösungsvorschläge und vor allem seine Arbeit an den Konglomeratwänden des Mönchsberges huldigen der Transformationen von kulturellen Zeichen, örtlichen Gegebenheiten und Material sowie massstäblicher Einfügung.

Bombardements der Alliierten hatten Salzburger Randgebiete zerstört; in der Nachkriegszeit entstanden dort grossflächige Siedlungen und Stadterweiterungen. Zaghafte Satteldachmoderne mit Lochfassaden ist jedoch kaum als zeitgenössisch zu bezeichnen; eine gewisse Postexpressivität lässt sich nur vereinzelt nachweisen. Salzburg baut und baut – triviale Behausungen.

Eine Ausnahme war bis zu ihrem Abbruch von herausragender Bedeutung: 1955 konnte Josef Becvar den sogenannten Mississippidampfer am Hanuschplatz neben der Hauptbrücke errichten; eine Art Hybrid mit Club-/Verkehrsinfrastruktur. Das Bauwerk wurde trotz seiner pavillonartigen Moderne sehr beliebt, bis die Fünfziger- und Sechzigerjahre in Salzburg endgültig vorüber waren und 1974 dem Ruf nach Abriss und Errichtung einer Verkehrsinsel stattgegeben wurde. Damit war die Auseinandersetzung der Stadt mit der Moderne für ein gutes Jahrzehnt beendet. Einige wenige zeitgenössische Gebäude entstanden durch Wiener Akademieschüler von Holzmeister und Behrens, die durch Geburt oder Schulbesuch einen Bezug zu Salzburg hatten. So realisierte arbeitsgruppe 4 die Pfarrkirche Zum Kostbaren Blut (1956), Robert Kramreiter das Pfarrzentrum Herrnau (1962) und Friedrich Grünberger das Leopoldskroner Freibad (1964). Einzelne bemerkenswerte Industrie- und Gewerbebauten wurden zudem nach 1970 von Generalimporteuren deutscher Automarken (1974 ÖFAG-Gebäude Gerhard Garstenauer) errichtet.

Die spärliche zeitgenössische Architektur ist dabei fast ausschliesslich in Stadtlage zu finden. Ausnahmen wie Kowalsky Spiluttini Szyszkowitz’ Aussegnungshalle Schwarzach (1978) und Heinz Tesars Erweiterung der Pfarrkirche Unternberg (1979) waren schwer erkämpft.

Die wenigen modernen Aufreger entstanden meist innerhalb des Postkartenblicks auf den Mönchsberg. Das Grand Café Winkler wurde in den Siebzigerjahren in poststrukturalistischer Modulbauweise zum Casino Salzburg umgebaut, 1990 wiederum abgerissen und durch das Museum am Mönchsberg ersetzt. 1986 wurde dieser Bau – nach Salzburger Einschätzung ein Schandmal – zum Katalysator einer einzigartigen Architekturreform in der Stadt und leitete eine neue Debatte über urbane Architektur und ihre zeitgenössische Interpretation ein.
Architektur, in Salzburg über mehrere Jahrhunderte als Ausdruck von Macht gesehen, war mit dem wachsenden demokratischen Verständnis plötzlich Angelegenheit der Stadtbevölkerung geworden. Mangels Erfahrung mit solchen Gestaltungsprozessen wurde sie jedoch zunächst als Erregungsventil und für öffentliche Geschmacksauseinandersetzung missbraucht; weder die Politik noch die Medien konnten hier beruhigend einwirken.

Die «Bürgerliste»
Die sogenannte Bürgerliste entstand aus Bürgerprotesten und Initiativen, die seit 1970 in Salzburg Tradition wurden. Bis heute ist sie in der Stadtpolitik die treibende politische Kraft des Hinterfragens von parteipolitischem Pragmatismus und Proporz. Sie fördert Erneuerungen in der Diskussion um demokratische Werte, Asyl-, Umwelt- und Gestaltungsfragen, Stadtverkehr und sanfte Mobilität, Urbanität und
den Umgang mit Spekulationsskandalen. Letztendlich ist es ihren Gründervätern (Schauspieler, Bäckermeister und Staatsanwalt) und nachfolgenden politischen Funktionären (früher Johannes Voggenhuber, heute Johann Padutsch) zu verdanken, dass Salzburg als erste Stadt Europas eine Architekturreform ausrief.

Laut intellektuellen Überlegungen aus der Blütezeit der Postmoderne sollte man in der Architektur durch den Kontext zum Ort zu spezifischen Salzburger Lösungen kommen. Dieser Wunsch ist, was «ein spezifisch Salzburgerisches» betrifft, gänzlich gescheitert. Es gelang jedoch die Öffnung hin zu unterschiedlichen, in der Welt diskutierten Architekturströmungen – mit einer klaren Tendenz zu Einflüssen aus Italien, Schweiz, Wien und Deutschland.

Die Reform hatte jedoch eine wesentlichere Funktion, nämlich das Zerschlagen von Bau- und Immobilienkartellen und damit eine massive Irritation der Bauspekulanten. Mittlerweile sind die ehemaligen Grossstrukturen kleinteiliger, aber auch komplexer geworden.

Strukturell verblieb von der Architekturreform die Einrichtung eines internationalen, öffentlichen Gestaltungsbeirats für Architekturbegutachtung, das Kultivieren des Architektur-Wettbewerbswesen und der Erfolg, der Stadtbevölkerung zum ersten Mal das Gefühl zu geben, «es kümmere sich jemand um das Erbe und die Zukunft der Stadt».

Eine Salzburger Institution: Dreissig Jahre Gestaltungsbeirat (1983 bis heute)
Die wechselnde internationale Besetzung des Gestaltungsbeirats macht es sich nunmehr seit dreissig Jahren zur Aufgabe, mit Auftraggebern um das zukünftige baukulturelle Erbe zu streiten und dem öffentlichen Raum vermehrt Aufmerksamkeit zu widmen. Aus der Distanz gesehen wird dies durchaus erfolgreich durch Beratung, Juryauswahl und Projekte der Mitglieder praktiziert. Allerdings hat die Vergangenheit auch gezeigt, dass nur wenige Protagonisten dem qualifiziert begegnen und diese Chance für eine Weiterentwicklung des eigenen, hier diskutierten Werks nützen können.

Im Zuge der EU-Vergabekultur wandelte sich das Feld der Akteure weiter. Zahlreiche Wettbewerbe zu öffentlichen Bauten wurden ab der Jahrtausendwende von deutschen Grossbüros mit ihren «kompakten, preußischen Funktionalitäten und Nachhaltigkeiten» gewonnen. Damit erholte sich die Szene vor Ort, und österreichische Architektinnen und Architekten realisierten den offenen Markt in Salzburg.

Der Weg zum Altstadtschutz
Die Zeit von 1960 bis 1984 war geprägt vom aufkeimenden Immobilienboom, und zahlreiche Spekulanten versuchten, sich Filetstücke der mittlerweile verkommenen und ausgedünnten Altstadt anzueignen, um sie radikal zu modernisieren. Hier erwachte zum ersten Mal der Unmut der Salzburger, die solche Umbruchgeschwindigkeiten in der Altstadt – der Identität der Stadt – nicht kannten. Hans Sedlmayr, ein lehrender Kunsthistoriker, bekam die Rolle des aktiven Warners, und auch durch seinen Einsatz wurde 1980 ein Altstadtschutzgesetz durch das Land und – da das Bundesdenkmalamt vage agierte – über die Stadt hinweg in Kraft gesetzt.

Einerseits half dies, Ungeheuerlichkeiten im Altstadtensemble zu verhindern – eine schleichende Zerstörung mangels Leitbild und Nutzungskonzept ist dennoch bis heute feststellbar. Andererseits wurde dadurch auch jegliche sensible, kontextbezogene Transformation der Altstadt unterbunden und durch einen sonderbaren Beratungsprozess einer lokalen, politisch besetzten Sachverständigenkommission wurden nur kleine Ungeheuerlichkeiten als Kompromiss realisiert. Die Summe der schwachen, konzeptlosen Gestaltungen macht dies evident.

Bedauerlicherweise sind namhafte Institutionen in eigentlicher innovativer Bauherrenfunktion (Künstlerhaus, Privatbanken, Landesparteizentralen, Cafés und stadteigene Organisationen) ebenso von diesem Gesetz betroffen, und auch sie bringen nicht den Mut auf, die Begutachter der Altstadtkommission infrage zu stellen. Selbst die Bürgerliste schaffte es bis heute nicht, in dieser vom Land Salzburg eingesetzten Kommission eine fachliche Qualifizierung und Strukturänderung durchzusetzen. Man darf aber auch erwähnen, dass es in Salzburg seitens der Auftragnehmer zahlreiche Nutzniesser der resultierenden Durchschnittsarchitektur gibt.

Demgegenüber steht die lange Liste der gescheiterten Projekte, die einen spannenden Best-of-Salzburg-Architekturkalender ermöglicht hätten: Adolf Krischanitz, Bar am Steintor 1985; Álvaro Siza, Casinoerweiterung am Mönchsberg 1986; Hans Hollein, Guggenheimmuseum im Mönchsberg 1989; Dominique Perrault, Bebauung Rehrlplatz 1995; Elsa Prohaska, Umbau Künstlerhaus 1997 – nur teilweise realisiert; Juan Navarro Baldeweg, Kongresshaus 1999; Boris Podrecca, Neugestaltung Markartplatz 2001; Delugan Meissl, Aufzug zum Museum am Mönchsberg MaM 2003.

Man könnte nun versucht sein zu glauben, dass in der Altstadt generell wenig gebaut wird.
Tatsächlich ist das nicht der Fall – allerdings bauen hier keine Preisträger, sondern Salzburger Kompromisse werden realisiert, was sich etwa am Haus für Mozart oder am Kongresshaus zeigt.

Selbst wenn man einer solchen konservativen, konservierenden Haltung positiv gegenüberstehen sollte, muss man aufgrund der baulichen Fakten in der Altstadt verzweifeln. Die Lebensqualität dieser Altstadt, die früher bis zu 24 000 und heute nur noch zweitausend Einwohner hat, ist unerträglich; die vorherrschende Souvenir-, Fetzen-, Fress-und-Sauf- und Tourismuskultur im Zentrum der Stadt spielt alle Stückln der Konsumwelt. Ästhetisch orientiert sich das meiste am Niveau des Temporären, Ephemeren – Kirtag/Prater/Tivoli –; das Gleiche gilt für die Bemühungen um den öffentlichen Raum.

Friedrich Achleitner beschreibt Salzburg als alpines Agrarland, das sich in eine Tourismus- und Erholungslandschaft verwandelt hat, wobei die markanten Bauten zum überwiegenden Teil im Umfeld der Stadt Salzburg stehen. Die festliche Stadt, die von fremden Kräften und Anregungen unter dem Einfluss des Genius Loci geformt wurde, sei das Charakteristische Salzburgs. (Friedrich Achleitner, Österreichische Architektur im 20. Jahrhundert, Band 1: Oberösterreich, Salzburg, Tirol, herausgegeben vom Museum für Moderne Kunst Wien, Salzburg 1980.)

Gibt es einen gegenwärtigen Salzburger Gestalt-, Stil- oder Formenkanon?
Voralpin, ein bisserl von den Alpen, ein bisserl von der Ebene – nein? Aber doch, der von aussen kommende Beitrag der Gestaltungsbeiratsmitglieder sorgt für einen gewissen Kanon. Das tönt sehr opportun, und ist es auch. Die überwiegend in der Lehre tätigen Mitglieder des Gestaltungsbeirats dozieren im Zusammenhang mit ihrer Beratungstätigkeit in Salzburg über Formen statt über Strukturen, und kaum einer kann für seinen Bauherrn oder sein Werk eine hochstehende, bereichernde Auseinandersetzung finden. Der formale Schwerpunkt wurde leider durch eine unglückliche Formulierung in den Rechtssatzungen festgelegt und müsste längst revidiert werden. So missbraucht die Stadt die internationalen Beratungsbeiträge für eine Geschmacks- und Funktionsdiskussion, statt sie für die Entwicklung von strukturellen, städtebaulichen, atmosphärischen und räumlichen Zusammenhängen zu nutzen. Es gibt zwar wie allerorts Entwicklungskonzepte, aber diese sind überaltert, technokratisch oder sehen lediglich eine Fortschreibung des Bestands vor.

Dadurch wird der Bestand – und auch der mittelmässige und unterdurchschnittliche – nobilitiert und zur Ausgangslage für die Zukunft. Egal ob im Grossraum Salzburg oder in den ländlichen Gegenden, besteht er in Siedlungsbau und nicht in Stadt. Stadt und Siedlung sind in Salzburg längst voneinander getrennt worden, was dazu führte, dass eine Gegend, die einst mit Stolz und katholischer Ehrfurcht auf sich selbst und das gottgewollte Land schaute, das Eigene als das Fremde verstand, und keine – oder die falschen – Instrumente der Raumordnung und Stadtplanung einsetzte, um der voranschreitenden Zersiedelung entgegenzuwirken.
Das Eigenständige ist dem Salzburger ohnedies suspekt. Schon die Salzburger Erzbischöfe praktizierten ja die Öffnung nach aussen und ignorierten die regionalen Ideenbringer. Die prägenden Baumeister-Architekten Scamozzi, Santino Solari und Fischer von Erlach kamen alle von weit her; lokale Genies wie Camillo Sitte wurden ignoriert. Diese Konditionen der Architekturproduktion blieben als Erblast erhalten: Grosse Werke konnten nur von Aussenstehenden geschaffen werden.

Dennoch kann die autochthone Salzburger Architektur nur durch Einzelleistungen signifikant werden. Es gibt keinen verhandelten oder stillschweigenden Konsens, keinen Architekturvater, keine Schule oder Strömung. Die fehlende permanente Einrichtung einer Architektur- oder Urbanitätsfakultät kann nicht durch temporär agierende Einrichtungen, Sommerakademien, permanente Berufs- und Vereinsinitiativen kompensiert werden. Die Lücke ist nicht auffüllbar, wenn man auch meinen könnte, dass die 150 Kilometer nördlich, östlich und westlich angesiedelten renommierten Universitäten und Ausbildungsstätten dies leisten könnten. Salzburg hat nicht die kritische Masse und die Ausmasse für eine permanente Auseinandersetzung mit den Aufgaben von Stadt und Region.
«Ortsunabhängig» und «ortsspezifisch» zu sein, attestierten die Autoren Otto Kapfinger, Roman Höllbacher und Norbert Mayr in Baukunst in Salzburg seit 1980 – einem Architekturführer, der immerhin sechshundert Projekte versammelt – zahlreichen Salzburger Bauten. (INITIATIVE ARCHITEKTUR (Hrsg.), Baukunst in Salzburg seit 1980. Ein Führer zu 600 sehenswerten Beispielen in Stadt und Land, Salzburg 2010.) Dies ist eine wahrlich fatal-doppeldeutige Aussage. Dem Bedauern der Seltenheit seltsamer Bauwerke steht der latente Wunsch der Theoretiker gegenüber, endlich austauschbare Weltbauwerke kritisch beschreiben zu können. Dies zeigt einmal mehr die Unmöglichkeit, eine Maniera Salisburgensis auszumachen – gegenüber der leichter zuordenbaren Wiener Avantgarde-Melange-Architekturschule, der poststrukturalen Grazer Schule, der Anarcho-Alpin-Schule Innsbrucks, den Vorarlberger Holzboxen und neuerdings auch der Linzer Nachhaltigkeitsschule.

Für Salzburg würde ein kritischer Regionalismus und Kontextualismus ausreichen, um eine spezifische Auseinandersetzung wie in den alpinen Lagen der Dolomiten unter Eduardo Gellner sicherzustellen.

Einen Mentor und Initiator braucht es dafür aber allemal, wie auch die ehemalige Grazer Schule in ihrer Entwicklung vom Poststrukturalen ins Postskulpturale anhand von Günther Domenig zeigt.

Die finale Ironie
Wer fordert nun in Salzburg Besonderes? Die Welt? Die Salzburger? – Niemand?
Die Forderung wird zwar erhoben, aber durch Salzburg als nicht erfüllbar und somit theatralisch als Fake inszeniert.Durch Ängstlichkeit verhindern viele treffsicher Aussergewöhnliches. Das grosse Engagement der Salzburger Bürger in Bürgerinitiativen mündete in Veränderungswiderstand, heisst doch der Leitspruch einer Nachfolgecommunity Hans Sedlmayrs: «to protect Salzburg against modernity».

Der redaktionelle und reaktionäre Regionalboulevard sichert im Einklang mit politischen Verwaltern dem universitären und wirtschaftliche Establishment ohnehin unaufgefordert den Konsens; die hier nur kurz verweilenden Kreativen und Künstler stellen keine Forderungen nach zeitgenössisch Besonderem. So fordert niemand das Besondere – das ist das fiktive Psychodrama der Salzburger; sie können nach wie vor «uneitel und gelassen» durch die erbverwalteten Räume schreiten.

Die Ironie daran ist schon, dass Salzburg durch sein städtebauliches Phänomen des Verschmelzens von Bauwerk, Landschaft und öffentlichem Raum zwar Singularität erzielt, aber aus diesem Erbe keine bauliche Zukunft entwickeln konnte. Die trivialen Zersiedelungen herrschen vor, wenn man von den Zufälligkeiten einer kleinen Gründerzeitzone und den Bemühungen nach der Architekturreform von 1986 absieht. Der vermeintliche Aufbruch der Forellenwegsiedlung mit Ungers, Aldo Rossi et al. im Jahr 1987 kopierte letztlich nur preußischen und norditalienischen Rationalismus ins alpine Urmeer. Doch immer noch werden städtebauliche Zusammenhänge durch Bauträger, Immobilienentwickler, Architekten und Politik mit dem Argument des «wünschenswerten» Individualismus unterlaufen. Die Bemühungen der letzten Zeit (TechnoZ_Wissenspark Itzling, Restrukturierung Bahnhofsareal, Areal Sternbrauerei, Stadt-Werke-Areal, Militärkasernen Riedenburg, Struber, Rainer und Schwarzenberg) wurden durch andere Entscheidungen in ihrem Wirkungsraum eingeschränkt; die Restrukturierung der Rauchgründe ist ungewissen Ausgangs.

Kontext der Provinz
Provinz ist dort, wo man meint, das von aussen Kommende sei grundsätzlich bedeutender als das Eigene. Andererseits stellt sich die Frage, ob in einer mediatisierten Welt überhaupt eigenständige Entwicklungen denkbar sind. Aber – die Provinz ist seit jeher auch die Ressource der City.

Die Salzburger Architektur muss ihren Mastermind feinstofflich kondensieren – von aussen kommend. Das Fünf-Plätze-Konzept Vincenzo Scamozzis, das anonyme Steintheater in Hellbrunn, die Kirchen und Schlösser Johann Bernhard Fischer von Erlachs, Clemens Holzmeisters Festspielbühnenturm und die Felsenreitschule sind sicherlich Grundstoff einer Maniera Salisburgensis Architecturae, wo Architektur mit Landschaftsszenerie verschmolzen, ja begründet werden kann.

Zukunft und Perspektiven Salzburgs
Die Zukunft von Salzburg liegt entweder in der biederen Fortschreibung des Ist-Zustands und der Nachahmung dessen, was anderswo erfolgreich ist. Oder es kommt zur Diskussion eines übergeordneten Leitbildes, welches das kulturelle Erbe als eine zukünftige Basis für Innovation und Neues versteht.

KKK – KulturlandschaftKunstKreativität. Keine nebeneinander existierenden, nicht miteinander verschränkten Leitbilder, sondern eines, das Natur und Kulturlandschaft vereint, um geistige und damit auch wirtschaftliche Impulse zu fördern. Für die Salzburger Architektur, die als Schule nicht existiert, würde eine postgraduale universitäre Ausbildung – eine AAAA-AlpinArchArchitekturAkademie – grosses Potenzial entfalten können, um den latent unterentwickelten Bauherrenwillen zu fördern, aber auch um den Voralpen- beziehungsweise Alpenraum und seine spezifischen Probleme – Tourismus- und Freizeitbauten – zu durchdenken.

Geld ist trotz der Suche nach verspekulierten hunderten Millionen Euro im Landeshaushalt ausreichend vorhanden und bedarf standortspezifischer Investitionsmöglichkeiten. Der Salzburger muss seine Veränderungsresistenz aufarbeiten und dem überbordenden Erbe zeitgenössisch Spezifisches zur Seite stellen.

Die Politik, sofern diese nicht nur für 50+ arbeitet, hat sich die entscheidende Frage der Sinnstiftung für Jugend und Zukunft zu stellen. Dabei ist Salzburg auch ein Paradebeispiel für die Problematik weithin beliebter Kleinstädte und ihrer ungewissen Zukunft als europäisches Rentnerparadies.

Salzburgs Chance besteht somit auch darin, als Klein- und Mittelstadt paradigmatisch Lösungen für solche herkömmlichen europäischen Probleme zu liefern. Diese könnten sich befassen mit dem öffentlichen Personennahverkehr, einem Regionalverbund, der übergeordneten, zusammenhängenden Raumordnung, dem Vereinbaren von Erbe und Zeitgenössischem und der Förderung von Stadt anstatt Siedlungen.

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Autor:
maxRIEDER by sepp dreissinger2009
maxRIEDER
maxRIEDER.at
ArchitekturWasserStadtLandschaft&Gestaltungsprozesse
plant&baut&lehrt&mediert&reflektiert

erstveröffentlichung archithese, internationale zeitschrift und schriftenreihe für architektur, 5.2013 september/oktober 2013 43. jg. „österreich/austria“

Foto: salzburger silhouetten
wasserkraftwerk sohlstufe salzburg
maxRIEDER, ErichWagner
foto: michael hierner

6 Kommentare zu “Architektonische Silhouetten in Salzburg

  1. ….immerhin ist das Sattler Panorama wieder zu besichtigen.

  2. Wunderbar treffender Artikel. Das einzige, das noch anzumerken ist, ist dieses Streben nach weltstätdtischem Flair, das in der Sterneckstraße gefeiert wird. Doch wie Max Rieder richtig schreibt, ist gerade diese Allerweltsarchitektur, die keinerlei Bezug zur natur- und kulturräumlichen Umgebung pflegt, alles andere als Kunst.

  3. Gratulation Max Rieder zum gelungenen Wurf über die reginonalen Problematiken mit dem spezifisch salzburgischen Prägung.
    Der aufgezeigten historischen Entwicklung wie der aktuellen gegenwärtigen Situation kann wohl fast nur einhellig zugestimmt werden.

    Bei den Perspektiven scheiden sich allerdings die Geister.
    Weder das Fortschreiben des Status Quo des Stillstands noch die lokalen Kopien der internationalen Erfolgsarchitektur können das städtebauliche Dilemma auflösen und was uns die hiesige Politik zu den Themen Verkehr, Raumordnung und Stadtentwicklung vorsetzt wird doch von den meisten Bürgern mittlerweilse nur mehr als lächerlich, dumm, verschwenderisch oder als zusätzliches Alltagsärgernis wahrgenommen: hier ein paar Parkplätze weg, da ein halbherziges Fahrverbot, dort eineinhalb Geschoße mehr etc. Daran wird weder ein Wahlergebnis, noch eine Partei, kann kaum mehr ein substanzieller politischer Skandal und wird wohl nur mehr eine “veritable” Krise etwas zu ändern vermögen.

    Die schlichte praktizierte Kopie der politischen, kulturellen und ästhetischen Trends europäischer Großstädte sind sicherlich keine geeignete Lösung für ein größeres Dorf wie Salzburg im ländlichen Umfeld.
    Hier ist Weitblick gefordert, da helfen nur ortsspezifische, langfristige Konzepte und Perspektiven.
    Den dringenden Handlungsbedarf gibt es erst seit Jahrzehnten!

  4. Es ist schon wahr, dass viele „normale/r“ Bürger/innen wahnsinnig viel auf den eigenen Geschmack geben und wenig bereit sind, sich den eigenen Vorurteilen zu stellen und diese zu hinterfragen. Ich denke, dass gerade in Punkto Gestaltung und eben auch Architektur an der Schule viel Aufholbedarf herrscht. Selbst an einschlägigen Schulen (Grafik, Gestaltung) wird das Thema Architektur wenn dann nur im Kontext der Kunstgeschichte behandelt – oder eher etwas gestreift, um bei der Wahrheit zu bleiben. Somit kann man als Mensch sich eigentlich fast nur auf seinen eigenen Geschmack verlassen, auf das was die Medien einem vorkauen, oder eben, wie von Ihnen vorgeschlagen, auf Wirtshausparolen wie „Neu = Hässlich“.

    Zu der von Ihnen angesprochenen bewußt-losen Wahrnehmung wollte ich nur sagen, dass dies meiner Meinung nach in sehr, sehr vielen Bereichen des öffentlichen und privaten Lebens stattfindet. Alles, was der Mensch nicht ertragen kann, muss irgendwie ausgeblendet oder vom Gehirn als „unwichtig“ abgestempelt werden, damit man den unangenehmen Eindruck oder das unangenehme Erlebnis möglichst schnell wieder aus seinem System vertreiben kann.

    Bei der Einschätzung der Architektur sagten sie: „Bei einer solchen Sekundeneinschätzung („Kenn ich, kenn ich nicht, komisch und fremd, und in der Hausverstandslogik: Schiach, weil anders“) erfahren wir nichts Neues mehr über die gegenwärtige und zukünftige, ja selbst über die vergangene Welt.“
    Genau da muss ich Ihnen wirklich völlig rechtgeben. Man müsste die Leute wieder mehr motivieren, ihre eigenen Ansichten zu hinterfragen. Und wie Sie auch weiter ausführen, in unserer Gesellschaft herrscht offensichtlich ein massiver Konsumzwang bei gleichzeitiger Überdrüssigkeit desselben und fehlendem Lebenssinn. Ich bin überzeugt, dass eben genau dies in starkem Zusammenhang mit der fehlenden Bereitschaft steht, den eigenen Geschmack und die eigenen Vorurteile zu hinterfragen, da grundlegende Bedürfnisse des Menschen ungestillt bleiben. Doch solange der Konsument konsumiert wird man zumindest aus wirtschaftlicher und medialer Sicht wohl kaum den Wunsch haben, dies zu ändern. Ganz im Gegenteil.

    Und wie Sie am Schluss auch ausführen, wenn Gestaltung einfach vermittelt werden könnte, und auch wenn so manche Kunst- und Architekturschaffende sich nicht einfach so im Elfenbeinturm verschanzen würden, dann wäre ermutlich schon viel gewonnen.

    • PS: ich bitte vielmals um Verzeihung und ersuche Sie, meinen Kommentar zu löschen. Ich hatte mehrere Artikel geöffnet und habe ihn leider aus Versehen unter dem falschen Artikel gepostet.

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