Florian Haydn – Wodurch werden wir zum Akteur, und auf welcher Seite stehen wir als Akteur? Auf der Seite, die den Ort bereithält, oder stehen wir auf jener Seite, die ein Begehren auf den bereitgehaltenen Ort entwickelt hat? Sind Bereithaltende, die Eigentümer des Ortes, Akteure? Arbeiten wir als Akteure für die Interessen jener, bewusst oder unbewusst, die bereithalten oder die begehren?
Der Akteur am besonderen Ort zeichnet sich dadurch aus, dass eine Verbindung zwischen Bereithaltenden und Begehrenden besteht. Alleine diese Verbindung macht den Akteur am besonderen Ort aus, eine Partnerschaft in der der Bereithaltende und der Begehrende eine Rolle übernehmen, sich den Akteur teilen. Der übliche Verwertungszyklus ist um einen Zyklusraum, einem Zeitraum erweitert, und dieser Erfahrungsraum wird bespielt. Jedoch hält in diesem gedehnten Zyklus der Bereithaltende den Ort weiterhin in Unterstützung mit dem Begehrenden bereit. Für diesen gedehnten Zeitraum wird bislang gerne der Begriff Zwischennutzung oder temporäre Nutzungen verwendet. Hier wird nun genauer beschrieben; Räume aus zweiter Hand scheinen mit einer Geste des Gebens verbunden. Ein Geben von der einen in eine andere Hand, ein Übergeben, ein Über-die-Hand-Geben ist die Verbindung auf Zeit. Und sich die Hände zu geben, ist die Sichtbarkeit dieser Verbindung.
In dem Sinne, wie Luhmann ((Niklas Luhmann, die Wirtschaft der Gesellschaft)) den Eigentumscode ausführt, lässt sich vielleicht hier am besonderen Ort ein Akteurscode festmachen.
Der Eigentumscode besagt mithin, dass in Bezug auf alle eigentumsfähigen Güter jeder Eigentümer oder Nichteigentümer ist und dass dritte Möglichkeiten ausgeschlossen sind. Die Inklusion wird durch die Differenz, nicht durch den positiven Codewert bewirkt. Jedes Eigentum des einen ist das Nichteigentum aller anderen. (..) Sie akzeptieren ihren Ausschluss von bestimmtem Eigentum, weil das ihre Inklusion in die Wirtschaft bewirkt. ((Luhmann, die Wirtschaft der Gesellschaft S189))
In der Differenzierung durch Einschließen und Ausschließen betreten wir mit Luhmann die verbindende Ebene, die sich als Inklusion in die Wirtschaft darstellt. Der Akteurscode differenziert am besonderen Ort Bereithalten/Halten und Begehren/Ehren. In Anlehnung an den Eigentumscode wird im Miteinbezogensein, ein In -Ehre-Halten, ein Band des Gemeinwohls gewoben. Werden die Nichthabenden durch die bei Luhmann besprochene Differenzierung Teil der Wirtschaft, so werden mit dem Akteurscode die Habenden Teil des Gemeinwohls. Ja, der Akteurscode bedeutet natürlich auch eine Inklusion in die Wirtschaft vor dem Hintergrund des besonderen Ortes, der monetäre Erwartungen zurückgesetzt hat, diese aber für die Zukunft nicht ausschließt. Auch wenn die monetäre Erwartung bis auf Null zurückgesetzt sein kann, bedeutet das nicht, dass die Akteure sich außerhalb der Wirtschaft bewegen.
Die Bedeutung von Wirtschaft ((Wikipedia: Die Wirtschaft oder Ökonomie ist die Gesamtheit aller Einrichtungen und Handlungen, die der planvollen Deckung des menschlichen Bedarfs dienen. (..) Das Wort Wirtschaft wird von Wirt im Sinne von Gastgeber und bewirten im Sinne von (ein-)schenken abgeleitet und ist die deutsche Übersetzung des altgriechischen Wortes οἰκονόμος oíkonomos (von altgriech. οἶκος oíkos „Haus“ und νόμος nomos „Gesetz“ oder „Regel“) das Haushälter oder eben Wirt bedeutet. Davon leitet sich auch das deutsche Wort Ökonomie ab. In genau diesem Sinne beschäftigt sich die ökonomische Theorie mit den Gesetzmäßigkeiten des Wirtschaftshaushalts.
The English words „economy“ and „economics“ can be traced back to the Greek words οἰκονόμος „one who manages a household“)) setzt sich inhaltlich zusammen aus dem Wirt, ob Lebewesen oder Pflanze, von dem eine Versorgung ausgeht. Den Wirt schaffen, die Wirt-Schaft ist vielleicht schon ein Hinweis auf eine Verbindung, ein aktives Schaffen im Beiwesen und in Verbindung mit einem aktiven Versorger, dem Wirt. Den Wirt schaffen, damit der Wirt die Wirtschaft betreiben kann, selbst Wirt sein kann. Die Leute, die einen Wirt aufsuchen, gestalten mit dem Wirt selbst, dem Wirt als Person, im Wechselspiel die Wirtschaft, den Ort, das Gasthaus, an dem sie sich einfinden. Die Gäste und der Wirt, beide gemeinsam machen die Wirtschaft zu dem warum diese besucht wird.
Die Frage nach der Seite, auf der wir stehen, die immer wieder und unvermeidlich auftaucht und Anlass für Polemik bereithält, lässt sich auch danach entscheiden, ob im öffentlichen Interesse oder in privater, eigennütziger Absicht gehandelt wird. An die Unterscheidung zwischen eigennützig und uneigennützig knüpfen die Fragen an: In welcher Verbindung stehen wir zueinander, was verbindet uns? Und lässt sich ein verbindendes Band am besonderen Ort erkennen? Das Angebot der Räume aus zweiter Hand ist auch an jene adressiert, die sich selbst noch nicht als Akteur sehen, es aber doch sind, und im Sinne Mandevilles ((Bernard Mandeville, Die Bienenfabel)) in diesem Erfahrungsraum erst einmal lernen werden, ein Bedürfnis zu entdecken.
„Ein System der Arbeit für andere aus Eigeninteresse kann jedoch nur entstehen, wenn die anderen dieser Arbeit auch bedürfen. Daher setzt eine funktionierende Gesellschaft eine Vielzahl von Bedürfnissen voraus. (..) Aus der >Vielzahl der Bedürfnissegegenseitigen Dienste, die sich die Glieder der Gesellschaft einander leistenje größer die Verschiedenheit dieser Bedürfnisse ist, um so größer auch die Zahl der Individuen sein kann, die ihr privates Interesse darin finden, für das Wohl der anderen zu arbeiten, und die in ihrer Gesamtheit einen Körper bilden. ((Walter Euchner im Vorwort zu B. Mandeville, Die Bienenfabel S24,25))
Auch wenn die Bienenfabel von Mandeville sich aus der Geisteswelt eines vergangenen Jahrhunderts entwickelt hat ((vgl. Mandeville 1980)), lässt sich darin die Struktur für Antworten auf die Ausgangsfragen erkennen.
Mit der Unterscheidung von eigennützigem und uneigennützigem Handeln versuchen wir zu erfahren, ob die Handelnden Interessen an der Schöpfung offener Verbindungen haben. Verbindungen ohne Wertung, ohne Rechnung auf das vor uns Liegende. Sind die Akteure offen, uns Anteil nehmen zu lassen? Mit einem Ja zur Antwort bleibt der Nutzen am Ort, der Ort wächst, der Ort lebt, der Ort ist lebendig. Leichter fällt es dem unmittelbar (noch!) nicht Handelnden, sich mit der Uneigennützigkeit als mit der Eigennützigkeit zu verbinden. Vielleicht ist aber auch dies ein Interesse aus Eigennutz, da sich der (noch!) nicht Handelnde für sich selbst eher Vorteile versprechen kann, wenn Uneigennützigkeit erkennbar ist.
„Wir drängen unser Denken jederzeit in die Richtung, in die es von unseren Gefühlen gezogen wird. Die Selbstliebe vertritt bei allen Menschen die Sache ihrer Sonderinteressen, indem sie jedem Individuum Argumente zur Rechtfertigung seiner persönlichen Neigungen liefert.“ ((B. Mandeville, Die Bienenfabel S363)) „Es wäre Selbstbetrug, wenn wir glaubten, dass wir unser Handeln von objektiven, das Gemeinwohl fördernden Vernunftsprinzipien anleiten ließen.“ ((Walter Euchner im Vorwort zu B. Mandeville, Die Bienenfabel S19/20))
Uneigennützigkeit gibt offen Anteil am Nutzen, gibt die nicht für den eigenen Nutzen, für irgendeinen Nutzen bestimmten Anteile anderen frei ab. Verbinden sich Eigennutzen und Nutzen mit einem Ort zur Anteilnahme am Ort, direkt, ohne Codierung eines Tauschwertes, dann lebt der Ort.
Die Unterscheidung von Eigennutz und Uneigennutz lösen sich mit zunehmender Entfernung vom Zentrum des Handelns auf. Mandeville zum Beispiel spricht in seiner Bienenfabel aus, dass wir uns erst dann, wenn die Bedürfnisse anderer bemerkbar sind, dieser Bedürfnisse annehmen können. Mehren sich die Bedürfnisse, so mehren sich auch die Möglichkeiten zu handeln, das gesellschaftliche Band zu knüpfen.
Für den besonderen Ort ist bezeichnend, dass er zeitlich begrenzt zu Verfügung steht. In jedem gebrauchten Gut, das aus zweiter Hand erstanden wird, ist das Besondere die eingeschriebene Zeit. Im Gegensatz zu dem Neuen, das noch ohne Zeit ist und alleine die Zukunft vor sich zu haben scheint, wird mit einem Gut aus zweiter Hand auch etwas von der Zeit, aus der Zeit davor, ein Mehr übergeben, das keinen direkt aussprechbaren Code verlangt. Auch dieses Mehr-Geben hat am besonderen Ort Zeit zur Entfaltung.
„Taktiken sind Handlungen, die ihre Geltung aus der Bedeutung beziehen, welche sie der Zeit beilegen (…) die Strategien setzen auf den Widerstand, den die Etablierung eines Ortes dem Verschleiß durch die Zeit entgegenhalten kann; die Taktiken setzen auf einen geschickten Gebrauch der Zeit, der Gelegenheiten, die sie bietet, und auch der Spiele, die sie in die Grundlagen einer Macht einbringt. ((Michael de Certeau, Kunst des Handelns S91,92))
Hier möchte ich die Unterscheidung von Certeau anwenden, der all jene Handlungen, die sich der Zeit widmen, als Taktik ((Taktik ist die Lehre von der Anordnung, Kluge – Etymologischen Wörterbuch 24. Auflage)) bezeichnet. Und der besondere Ort an sich ist Taktik, der Raum, der sich bietet die Dinge des Lebens im Spiel zu ordnen, neu zu ordnen und Anordnungen zu erproben. Die Taktik seiner Akteure ist ein Spiel mit der Zeit. Zu unterscheiden ist folglich Strategie ((Strategie ist der Plan für das Vorgehen, Kluge – Etymologischen Wörterbuch 24. Auflage)) . Der besondere Ort ist nicht Strategie, er ist nicht Plan zu einem Vorgehen. Mit dem Plan verliert der besondere Ort seinen Zustand.
Im ersten scheint es trivial und nicht besonders erhellend, hier nach Antworten zu graben, denn was wollen jene, die einen Ort haben und mit ihm ein Geschäft machen wollen, anderes, als diesen Ort jenen zu übergeben, die genau diesen Ort suchen. Das Geschäft scheint gemacht zu sein. Der Schönheitsfehler daran: dass jene, die den Ort wollen, nicht die ursprünglichen Erwartungen des Eigentümers erfüllen können. Dass dieser Ort ja nur zum Ort ihres Interesses wurde, da genau dieser Ort im Moment von keinem anderen in Erwartung des Eigentümers nachgefragt wird oder der Eigentümer noch einiges für seinen Ort organisieren will, bevor er selbst an den Ort gehen kann. Planungszeiten können mitunter Jahre in Anspruch nehmen, bevor mit Bauarbeiten begonnen werden, der Ort angegangen werden kann. Ein Paradoxon, das Nichtnachfrage im Grunde die Nachfrage darstellt.
Der Ort der für die eine Seite noch kein Ort ist, ist für die andere genau aus diesem Grund bereits ein ausgezeichneter Ort. Wie wir uns leicht vorstellen können, liegt genau in dieser Natur der Sache ein Boden für Missverständnis, oder positiv ausgedrückt ein Ansatz zur Differenzierung. Unterschiedliche Interessen, die sich über eine Zeitkette ergänzen.
In der Marktwirtschaft gehen üblicherweise Bereithaltende und Begehrende eine Verbindung über das beiderseitige Übereinkommen im Sinne des Marktwertes ein. Am besonderen Ort hat ein marktwirtschaftlicher Marktwert keine Bindungsbasis. Stärker trägt die Hoffnung auf einen später eintauschbaren Marktwert die Bindung – die Hoffnung, dass die Begehrenden dem besonderen Ort ein Etwas aufprägen, das in der Folge andere, Mietbegehrende oder Käufer, anzieht und über diese Schleife den erwarteten Marktwert zum realisierbaren Marktwert für den Eigentümer reifen lässt.
Akteure sind demnach alle, die in einer Handlung die Gestaltung des Geschehens und die Darstellung übernehmen. Auch beschränkt der Handlungsraum sich nicht alleine auf den Ort des Objektes, sondern geht in die Tiefe des Raumlosen. Und im Raumlosen liegt eine Antwort der Frage: was ist Belebung eigentlich?
Aber im Darstellen verliert sich das, was wir sind, ohne Rolle, ohne Wunsch, im Lebendigsein doch sein zu wollen, gegen die Natur des Lebendigseins zu sein. Demzufolge macht Belebung am Ort nicht den Ort, um lebendig zu sein.
„Verblüffend (..), dass lebendig wahrgenommene Orte so etwas wie die Gegenwart von Abwesendem sind. Das, was sich zeigt, bezeichnet, was nicht mehr ist (..). ((Michael de Certeau, Kunst des Handelns S205))
Auch würde ich Belebung mehr als eine Handlung festmachen, die lediglich über eine gewisse Zeit andauert, nur dazu andauern kann, um dem Ort konzentrierte Energie zu geben, gerichtet auf das Abwesende, im Versuch dem besonderen Ort Leben zu geben, im Wunsch, dem Ort das Leben-zu-Wollen zu geben.
Aus dem Wunsch kommt ein Wollen, auch ein Wie-wir-wahrnehmen-Wollen. Der Wunsch, der Blick, die Wahrnehmung teilt Rollen in Handlungen zu, mit denen wir gerne unsere Wünsche darstellen. Darstellen ist dieses Zeigen auf das, was wir nicht sind. Was nicht ist, ist wohl ohne Leben.
Der eigene Blick verführt dazu, das Gesehene als das uns von der Natur Gegebene hinzunehmen. Nichts jedoch ist der Natur gegeben, was wir nicht ihr, der Natur, in unserer Aufmerksamkeit geben. Gerne treibt uns ein Drängen, hier das Naturgegebene, die Regung, die Bewegungen wieder gleichzustellen, das aus der Bahn gedrängte in ein Natürliches, der Natur ergebenes zu führen. Naturwollen, die Natur zu wollen, ist nicht Natur, wie wir sie wollen.
Im Darstellen der Wünsche geben wir, auch wenn nicht ist, was wir geben. Es ist nicht von Bedeutung, was wir geben, denn wir geben nur, wenn wir auch nehmen, und dann ist gegeben zu dem wir hier sagen können: das Leben. Nehmen und Geben differenzieren das Leben ((Siehe hierzu: Jacques Derrida, Falschgeld; Marcel Mauss, Die Gabe; Marcel Hénaff, Der Preis der Wahrheit; Lewis Hyde, Die Gabe; Michael de Certeau, Kunst des Handelns; Heidemarie Schwermer, Das Sterntalerexperiment, u.a.)) und wir können weiters sagen, das ist Beleben.
Auszug aus:
Second Hand Spaces. Über das Recyceln von Orten im städtischen Wandel
Jovis Verlag Berlin 2012 ISBN 978-3-86859-155-2
Autor:
Florian Haydn, Architekt, Wien
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