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Stadt der Konflikte

6 Kommentare

Andreas Kleboth – Die Stadt – ein Ort der Konflikte. Zwischen Nutzungen und Interessen. Zwischen Menschen. Zwischen Neuem und Altem. Großem und Kleinem. Lautem und Leisem. Jungem und Altem. Bekanntem und Ungewissem. Schnellem und Gemächlichem. Weitem und Engem. Wegen der Menschen und wegen noch mehr Menschen.
Diese Kumulation von Unterschieden macht Stadt aus. Ist Teil, ja Kennzeichen städtischer Kultur. Diese ständigen Spannungen in Städten sind wesentliche Triebfedern von gesellschaftlichem und kulturellem Fortschritt.
Und Städter haben gelernt, mit Konflikten umzugehen. Denn Differenzen und Divergenzen sind unvermeidbar, ja machen Städte letzten Endes erst interessant, unverwechselbar, ereignisreich, überraschend und lebenswert.
Und die Toleranz im Umgang mit dem Konfliktpotenzial ist dabei selbstverständlicher urbaner Alltag. Sie ist gelebter, ja geliebter Normalfall oder in ihrer maximalen Übersteigerung sogar ein extremer Attraktor. Denn Urbanität besteht eben genau aus diesem unmittelbaren Nebeneinander von scheinbar Gegensätzlichem. Sie ist das eigentliche Phänomen von Metropolen.
Und darüber hinaus macht diese urbane Toleranzvielfältige und durchmischte Städte resilient, also robust im Umgang mit dem Neuen, dem Unvorhersehbaren.

Welche Schlüsse können aus dieser skizzierten These für neue Stadtentwicklungen gezogen werden?
1.
Diese konfliktreiche Stadt steht in direktem Gegensatz zum Stadtmodell der Moderne. Hier wird versucht durch räumliche  Trennung von Nutzungen, Spannungen unter allen Umständen zu vermeiden. Sollen neue Stadtentwicklungen lebendig und aufregend werden, müssen Konflikte als integraler Bestandteil des Lebens von Beginn an akzeptiert werden und bewusst gefördert werden.
2.
Konflikte dürfen eine kritische Größe nicht überschreiten. Wie bei jedem komplexen System ist auch die Resilienz der lebendigen Stadt nicht beliebig groß. Das heißt der Bogen des Systems darf nicht überspannt werden. Megaprojekte, abrupte Kursänderungen, großmaßstäbliche Eingriffe, sehr hohe Entwicklungsgeschwindigkeiten sind für derartige feinmaschige Systeme wie urbane Räume schwer verkraftbar.
3.
Parallel dazu muss der Umgang mit Konflikten kultiviert werden. Denn komplexe Systeme wie Städte können nur durch ständiges Steuern und Reagieren lebensfähig bleiben. Die Stadt als Organismus aller, Kommunikation als dabei unerlässliche Software. Das lässt sich nicht planen, ist trotzdem oder gerade deshalb aber unerlässlich.

Fazit:
Bei unseren Stadtentwicklungen sollten wir immer das Widersprüchliche, das Gegensätzliche, das Unerwartete suchen (und nicht planen): das macht Orte erst charmant, im besten Fall unwiderstehlich. Und einer begehrenswerten Stadt verzeiht man gerne, auch zahlreiche Spannung. Und eine umfassende Dichte (räumliche, atmosphärische, der Ereignisse ….) fördert Kommunikation und damit einen selbstverständlichen Umgang mit den zwangsläufigen Konflikten. So werden urbane Systeme resilient.

__________
Autor:
Andreas Kleboth, Architekt und Stadtentwickler bei c2.ccwww.kld.as

6 Kommentare zu “Stadt der Konflikte

  1. Eine Stadt der akzeptierten Konflikte wie sie hier geschildert wird spricht einen sehr interessanten Punkt an. Nur: Wo ist der Raum in dem die Reibungen stattfinden können und nebeneinander genügend Raum ist um sich im Kompromiss zu treffen? Wir Stadtbewohner haben alle ein gutes Recht hier zu sein, uns in dieser Stadt zu bewegen und uns in ihr auszudrücken. Was eine Stadt der akzeptierten Konflikte braucht ist ein reges öffentliches Leben und den dazu benötigten Raum um kommunizieren zu können? Etwa im Verkehr, durch die Autoscheiben hindurch? Das Missverhältnis von Raumzuteilungen steht bei mir seit Jahren an oberster Stelle als Grund für die Unmöglichkeit öffentlichen Lebens: wie kann soviel wertvoller Raum dem Autofahren/Autoparken zugestanden werden? Man kann sich nicht näher kommen durch eine Autoscheibe hindurch und es ist auch kein Platz mehr auf dem „Bürgersteig“ um dort gemütlich einen Kaffee auf einem Klappsessel zu trinken. Gemeinsam mit der Nachbarin.

  2. „Der Raum existiert nicht, man muss ihn schaffen. […]
    Jede Skulptur, die vom Raum ausgeht, als existiere
    er, ist falsch, es gibt nur die Illusion des Raums.“
    Alberto Giacometti, Notizen, um 1949

    Denke man muß sich einmal darauf einlassen und auseinaderhalten, einerseits den vermessbaren, techisch erforderlichen „euklidischen Raum“, wo x-y-z Achsen gleichwertig scheinen, letztendlich der Ingenieurskunst zu Grunde liegt und andererseits den sinnlich „gefühlten Raum“ – jener Illusion Giacomettis.

    Geht man vom menschlichen Hirn aus, dann geht die meßbare Betrachtung von der Linken Hirnhälfte aus, bildhaft fühlbarerer Raum entsteht in der rechten Hemisphäre.

    Der gefühlte Raum folgt ganz anderen Mustern, hat durch unsere Wahrnehmung und Erfahrungen gefilterte Asymetrien, etc.

    Konflikte im Raum entstehen nach meiner Einschätzung immer dort, wo es Widersprüche zwischen den beiden Ansätzen gibt. Ethik folgt Ästhetik.

    Was Giacometti auf Skulpturen bezieht, gilt wohl für jegliche menschliche Raumgestaltung und speziell für Architektur aber, oft vergessen, auch für die Grünraumgestaltung.

    Öffentlicher Raum ist immer auch Bewegungs und Verkehrsraum, und Verkehrsrecht ist extrem sortierend und einschränkend.

    Stellt ein Künstler, ein Architekt, wer immer etwas in den „nackten Raum“, eröffnet er einen Dialog. Räume, die sich bloß an die linke Hirnhälfte wenden bleiben „stumm“.

    Aber auch wenn der Raum sehr „stumm“ bleibt – wie z.B. der neu gestaltete Martin Luther Platz – verweigert zwar das Gespräch aber auch er kann – um bei Watzlawik zu bleiben – nicht nichtkommunizieren“.

    Gute Räume machen Neugierig und Aufmerksam und haben jene intuitiv erfaßbare Aufenthaltsqualität die Christopher Alexander mit dem Begriff „quality without a name“ auf den Punkt brachte.

    Bei der Gestaltung öffentlicher Räume fragt man immer erst nach Gesetzen, Normen, Regeln, Richtlinien und Verordnungen (neßbar, klagbar, Grenzen ziehend, Haftung zuweisend etc.), linkshämisphärisch erfaßbar.

    Auf die andere Hälfte unseres Daseins muß man da meist verzichten, es entstehen Räume, die technisch-juristisch in Ordnung sind, jedoch menschlich daneben.

    BTW: Würde man Schimpansen in Linz auf dem Martin-Luther-Platz halten wollen, wäre wohl sehr schnell ein Verfahren wegen nicht artgerechter Haltung und Tierquälerei anhängig.

  3. Mir ist das zu Kurzsichtig. Gute Räume machen zwar Neugierig aber nur kurzweilig. Wo halten sich Menschen am liebsten auf – in Parks mit Cafe´s und kleinen Lokalen am Rand. Da braucht man keine guten Räume. Genau in solchen Park´s kann man die Seele baumeln lassen und dem Alltagsstress und der Reizüberflutung entfliehen. Und genau das Fehlt bei diesen sogenanten guten Räumen. Etwas Grünes, Natürliches gehört in diese Räum eingebunden.

  4. Besonders die kultivierung von Konflikten muss gefördert werden. Dazu gehören Demonstrationen, öffentliche (Podiums)diskussionen genauso wie die Bildung einer gemeinsamen Basis von Verhaltenskodizes, die wie selbstverständlich dazu gehören Eskalationen zu vermeiden. Die Reibungen, die sich durch die unterschiedlichen sozialen, kulturellen, intellektuellen Bevölkerungsteile einer automatisch einstellen, sind es meiner Meinung doch auch, was das Leben einer Stadt reizvoll machen kann.

  5. Die vom Autor Andreas Kleboth verifizierten, mehrperspektivischen Differenzen spiegeln meiner Ansicht sehr treffend und zeitgemäß gelebte Urbanität unseres beginnenden 21. Jahrhunderts reflexiv wieder. Als weitere, meiner Meinung nach elementare Differenz möchte ich die Begriffe Kontemplation versus Aktivität dem Reflektieren über Urbanität noch hinzufügen. Lebenswerte, interaktive Städte verlangen nach anregenden, dynamischen sowie kontemplativen, (verkehrs-/lärm-)beruhigten Lebensräumen gleichermaßen. Ferner damit verbunden sollte ein Umdenken in Richtung neuer, umweltverträglicher, nachhaltiger Mobilitätskonzepte gesellschaftlich gestärkt und gefördert werden.

  6. Ein kleine Ergänzung zu meinem Text: Am Sonntag 30.3. 2014 in Ambiente von Ö1 – ein Beteiligter meint sinngemäß, die Konflikete zwischen Palästinensern und Israelis ließen sich nicht lösen, sondern man müsse die Konflikte managen. Die Aussage geht mir nicht mehr aus dem Kopf und erscheint mir vorbildlich.

    Denn diese Vorgehensweise könnte wahrscheinlich in vielen Bereichen das (Zusammen-)Leben entscheidend erleichtern.

    Auch in unseren Städten. Eine Stadt, in der es keine Konflike (mehr) gibt anzustreben, geht am Wesen der Stadt vorbei. Vielmehr wäre es wichtig bei der Verwaltung und Gestaltung von Städten Konflikte als fixen Bestandteil zu akzeptieren und Methoden, Foren, Orte, Management für das Lösen dieser Konflikte von Beginn an mitzudenken.

    Einige derartiger Methoden fallen mir sofort ein und sind teilweise auch schon gelebte Praxis, darüber hinaus müssten aber sicherlich neue Wege der Interaktion konzipiert und begangen werden (und zahlreiche Vorschriften und Dogmen entsorgt werden).

    Nicht Konflikte lösen sondern managen.

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