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foto: marcus rahm creative commons licence by 2.0

Wien wo, wohin ? – Resümee PAUHOF

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Michael Hofstätter, Wolfgang Pauzenberger – Jede Metropole hat ihre künstlerischen, sozialen und ökonomischen Blütezeiten. Diese treten nicht unbedingt gleichzeitig auf, bedingen aber einander. Architekturen und die jeweiligen stadträumlichen Dispositionen bilden dann einen identitätsstiftenden Ausdruck einer geschichtlichen Epoche und schreiben sich fortwährend in den Stadtplan ein.

Sie prägen nicht nur das Stadtbild, sondern befördern bestenfalls auch das komplexe Zusammenleben der Vielen, gewähren dem einzelnen ’Seienden’ dennoch geschützte, mit der Natur verbundene Behausungen für sich, für seine selbst bestimmte Form des Zusammenlebens. Das bedingt kulturelle Kontinuität über sich schnell verändernde Zeiten, über gesellschaftliche Klassenbildungen hinweg. Nur eine hohe Qualität von einzelnen Gebäuden und dessen Transformationsmöglichkeiten – in Kombination mit stadtbaukünstlerisch prägenden, auch für die Zukunft anschlussfähigen öffentlichen Räumen – und ein dichtes, leicht erweiterbares öffentliches Verkehrsnetz ermöglichen die lebensnahe Entwicklung eines schnell wachsenden Stadtorganismus.

Unter diesen Prämissen brauchen keine radikalen Eingriffe oder visionären Überlagerungen gescheut werden, ja, sie könnten den gegebenen Kontext überhöhen, sollten Neues konstituieren. Harte Gegensätze oder Überlagerungen wären gegebenenfalls einem schleichenden, meist wenig intelligenten Tabula-rasa-Prinzip vorzuziehen.

Wien erhielt – jeweils um die letzten beiden Jahrhundertwenden – die Chance, sich als mitteleuropäische Metropole neu zu erfinden, zur Großstadt zu wachsen. Dazwischen gab es die lange Periode der Stagnation einer schrumpfenden Stadt, die von ihrer Vergangenheit zehrte, ohne Willen und Kraft für Gegenwart und Zukunft. Die ‚Moderne’ fand kaum statt, dafür umso mehr die ‚Post-Moderne’. Wien wurde geradezu deren Ausgangspunkt, verständlich in der Stadt der Inszenierung, des Theaters.

Wiens erste Gründerzeitphase startete 1858 mit der Schleifung der Stadtmauern und
Basteien nach dem Verlust deren militärischer Bedeutung. Ein gleichzeitig
stattfindender stadtbaukünstlerischer Wettbewerb für das gesamte Glacisgelände führte zum Bau der Wiener Ringstrasse. Der Ringstrassenplan mit seinen monumentalen, repräsentativen Plätzen und den gezielt in Achsen gesetzten öffentlichen Bauten folgte der Idee des städtebaulichen Gesamtkunstwerkes. Es entstand ein sich kontinuierlich entwickelnder Stadtorganismus in der Linie der genialen Architekten Fischer von Erlach – Gottfried Semper – Otto Wagner. Otto Wagner blieb es vorbehalten, mit seinem Konzept ‚der unbegrenzten Großstadt’ das Rastermodell des Ringstrassenplanes mit dessen radialen Brechungen als idealisiertes Modell für einen Ausbau Wiens zur mitteleuropäischen Metropole mit drei Millionen Einwohnern als Szenario räumlich zu denken und konkret darzustellen. Mit der Realisierung der Stadtbahn, der Vorortelinie und der architektonisch hochwertigen Ausformung des Donaukanals schuf er die realen Grundlagen dafür. Völlig vernachlässigt blieb die soziale Frage, die sich in der Gründerzeitbebauung außerhalb des Gürtels manifestierte, in der das Proletariat – nur für die Hausbesitzer gewinnbringend – untergebracht war.

Interessant bei der Nachbetrachtung bleibt für uns ach der ’Stadtregulierungsplan Wien, Innere Stadt’ von Adolf Loos aus dem Jahr 1912. In einer so genannten ‚retrospektiven Utopie’, die sich auf den Baubestand von 1859 bezog, versuchte er das doch ziemlich schematische Rastersystem der Ringstrassenbebauung zugunsten eines anpassungsfähigeren Netzwerks aufzulösen – mit räumlich präzise formulierten Gelenksituationen, die die Radialen der Vorstadt besser mit dem Geflecht der Innenstadt verbinden. Für uns Architekten bleibt der Loosplan schon deshalb bedeutsam, weil in der gegenwärtigen Stadtplanungskultur kein eigenständiger, selbstbewusster Planungsansatz für den Umgang mit stadträumlichen Ergänzungen oder gar Teilüberlagerungen von Beständen in der Innenstadt besteht. Es erscheint etwa undenkbar, dass Otto Wagner den wichtigsten Kulturbau der zweiten Republik, das MUQUA, im Hinterhof der Pferdestallungen des Kaisers versteckt hätte. Ähnlich unbegreiflich entwickelt sich die Planungsdiskussion zum Neubau des ‚Wien Museums’. Die Öffentlichkeit erreichen ständig variierende, aber immer konventionelle Bilder von isolierten Bauvolumen, an differenten Standorten. Wenig hört man vom Museum als neue Idee künstlerischer / gesellschaftlicher Aktivitäten, als vitaler Brennpunkt in der Stadtstruktur – mit spezifischen, neuen Raumkonfigurationen und deren architektonischem Ausdruck. Ein Szenario wäre, das Wien Museum großzügig auf dem Karlsplatz zu denken – ohne Winterthurhaus – im direkten Spannungsverhältnis zur Karlskirche. Da waren wir doch schon einmal weiter als jetzt.

Im Gegensatz zur gegenwärtigen, dem Alltag verschriebenen Stadtplanung verordnete sich Wien hundert Jahre nach dem Ringstraßenplan, trotz bescheidener Zukunftsoptionen als Folge der kriegsbedingten Randlage, einen Modernisierungsschub, indem sie Roland Rainer zwischen 1958-1963 als Stadtplaner berief. Er reagierte auf den Verfall der damals schrumpfenden, früheren Habsburgermetropole mit dem Konzept ‚Die gegliederte und aufgelockerte Stadt’. Als historische Bezugspunkte dienten einerseits das barocke Wien mit dessen niedrigem Baubestand – eingebettet in privaten Gärten – und andererseits die Planungsbestrebungen der Architekten Adolf Loos, Margarete Schütte-Lihotzky, Josef Frank, …. für ein selbst bestimmtes, lebensgerechtes Wohnen breiter Bevölkerungsschichten im Rahmen der Siedlerbewegung nach dem ersten Weltkrieg. Roland Rainer schreibt in seiner Städtebaulichen Prosa:

„…..trotzdem sollte man mit dem Begriff ‚Stadt’ weniger das Bild des Gewordenen, als vielmehr das des Werdenden verknüpfen, sollte die Stadt stets als lebendiges Wesen, als den räumlichen Niederschlag zeitgemäßen Lebens und Wirkens sehen.“

Seine Erneuerung Wiens sollte das Wesen der Stadt nicht verwischen, sondern gezielt neu akzentuieren, um die Lebensbedingungen für die Wiener zu verbessern. Prioritäten setzte er mit den Vorschlägen zur Auflockerung der dicht verbauten Stadtgebiete, zur Bildung von neuen Subzentren, zum Schutz des Stadtbildes, zur Bevorzugung bandartiger Strukturen, für einen Grünflächenplan über das gesamte Stadtgebiet unter Bedachtnahme der kostbaren Umgebungslandschaft, für Fußgängerzonen, … und bewirkte damit langfristig gültige Entscheidungsparameter für die Entwicklung Wiens. Mit dem Bau des Stadthallenkomplexes gelang Roland Rainer auch eine großmaßstäbliche architektonische Ausformulierung seiner Gedanken in dieser städtebaulich zumindest zwischenzeitlich recht ambitionierten Phase.

Zurecht stellt sich für uns Architekten also heute die Frage, ob eine stadträumliche Gesamtkonzeption für die zweite Gründerzeit, die sich in Wien in den letzten beiden Jahrzehnten etablierte, überhaupt anzudenken ist, in der gegenwärtigen globalisierten Welt, mit den sprunghaften Investorenentscheidungen überhaupt imaginierbar ist? Wie steht es heute mit dem politischen Willen der Kommune, die Stadt als Gesamtorganismus sozial und künstlerisch so zu strukturieren, dass die Bürger nicht das Gefühl bekommen, nur ein Subjekt der Stadtorganisation und Verdinglichung in einer globalen Ordnung zu sein? Lässt sich für Wien eine tragfähige stadträumliche Metaebene generieren, an der sich die alltägliche Stadtplanung orientieren kann – ohne Konventionen überschreitende Architekturen sofort abzuwenden, die den Entscheidungsspielräumen der Verwaltung Sinn geben, zugunsten der Vielen legitimieren und nicht nur den Kompromiss befördern, der in der gängigen Planungspraxis den Kapitalströmen geschuldet bleibt? Kann Wien seiner Identität, seiner Tradition als Schmelzpunkt differenter Kulturen, die sich in Folge der jüngst erfolgten Zuwanderungswelle wieder verstärkt zeigte, auch architektonisch fruchtbar zum Ausdruck verhelfen oder bleibt es bei der provinziellen Abwehrhaltung ohne selbstbewusste Offenheit für Neues?

Sowohl die Bildhaftigkeit der damals expandierenden Donaumetropole des Vielvölkerstaates, als auch die vorwiegend um die Behausungsfrage kreisenden städtischen Ordnungsversuche des sozialdemokratischen Wiens – die sich in den besten Phasen nach sozial / humanitären Gesichtspunkten orientierten und eher strukturellen Kriterien folgte – könnten nach analytischer Bewertung und radikaler Weiterentwicklung zu einem neuen, originär geformten Wien führen.

Über eine weitreichende Änderung der gesetzlichen Regelung der Baulandfrage in Zusammenhang mit der Grundstücksbewertung und der Erschließung mit öffentlichem Verkehr wird man diskutieren müssen. Andernfalls bleibt die gründerzeitlich bedingte Bauspekulation in der schnell wachsenden Stadt der die Stadtplanung dominierende Entscheidungsfaktor.

Betrachtet man die Stadtentwicklung Wiens der letzten zwanzig Jahre, dann ist man als ‚Außenseiter’ fast geneigt, wieder mit einer ‚retrospektiven Utopie’ auf Grundlage des Ist-Zustandes von 1990 zu reagieren. Wir, PAUHOF, hätten mit den städtebaulich relevanten, damalige Konventionen überschreitenden Projekten wie: ’Synthese Museum Wien’, ’Wien Nord’, ’Neukonzeption des Schwarzenbergplatzes’, ’Erste Campus’… eine weitreichende Basis dafür. Ein derartiges Denkmodell wäre ein profunder Beitrag zur Stadtanalyse, könnte die vielen Misshandlungen der immer noch sehr schönen Stadt etwas relativieren und gleichzeitig auf das künftige Funktionieren des ‚großen Ganzen’ verweisen.

Was Wien auf dem Gebiet der Verkehrsplanung an Verbesserung gelang – ein Paradigmenwechsel: der quantitative / qualitative Ausbau der öffentlichen Verkehrsmittel bei gleichzeitiger Reduktion des motorisierten Verkehrs – sollte auch bei der räumlich / künstlerischen Konditionierung des Stadtorganismus möglich werden. Dazu bedarf es des entsprechenden politischen Willens, der Gabe zur Analyse, des interdisziplinären Erarbeitens zukunftstauglicher Stadtszenarien, daraus resultierender Zielsetzungen und danach der kraftvollen Architekturen, geplant von den besten Architekten mit der Fähigkeit zur Imagination.

Autoren:
PAUHOF Architekten
(Michael Hofstätter / Wolfgang Pauzenberger)
http://www.pauhof.com

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Foto: Marcus Rahm cc by 2.0

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