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Wider – Architektur als Geschmackssache – süss/bitter/sauer…

15 Kommentare

… ein Aufklärungsversuch für professionelle Laien & Politik von maxRIEDER

Architektur ist Geschmackssache, so tönt es im Erklärungsversuch der Vorurteilsmenschen. Nämlich dem Vorurteil unterliegend den eigenen Geschmack als das Maß und Verständnis aller Dinge (der Gestaltung) ökonomisch zu erklären. Das kulturelle Wissen über Gestaltung baut meist auf Fragmenten der Herkunftskonditionierung, Schulbildung, Umfeld- und Stammtischwirrwarr, Medienglossen und sich wiederholender Wohlbefindenserfahrung auf. Gestehe ein, dass man sich nicht immer die existentielle Frage und vorallem die Zeit gönnt, Gestaltung abzuwägen, in Beziehung zu setzen zu Bekanntem, Erfahrenem und ungewissen Neuem.

Umso mehr wirkt dies im Hintergrund, im Unbewußten bei architektonischen Gestaltungen. Die Grenze des Wahnsinns wäre längst überschritten, wenn wir ständig die alltägliche Gestaltung der Umwelt und insbesondere der Bauwerke abgleichen müssten. Das Leid durch Erkenntnisse aus dem Alltag wäre unerträglich, sodass wir uns ein „feines“, in realitas ein grobes Aufmerksamkeitsgerüst zugelegt haben, die überwiegend vorherrschende Häßlichkeit und Trivialität auszublenden. Dies begründet ja auch im wesentlichen die Tourismusindustrie als perverse Kompensationshandlung.

Ob der Nahversorger, der nahliegende Fachmarkt, der Zwangsarbeitsplatz und der erschwingliche Wohnraum, selbst der Verkehrsraum und seine Einrichtungen treiben den sensiblen Beobachter und auch den Gestalter in eine Frustration. Dieser Frustration entkommt man durch alltäglichen ignorierenden Blick und bewußt-loser Wahrnehmung. So auch den sozialen und luxurösen Wohnsiedlungen, Bauten und Räumen einer x-beliebigen Stadt und dem Zwischendrin von früherem Land und Stadt.

Gänzlich anders wird allerdings Architektur wahrgenommen.
Architektur erscheint zuerst einmal als anders, anders als die massierte Trivialität des Bauens und fällt unangenehm durch „Gestaltung“ auf.

Natürlich ist das alltägliche Bauen auch von Gestaltern gestaltet, aber signifikant normal unauffällig.
Die Architektur hingegen erscheint meist im Gewand des Zeitgenössischen, Innovativen aus Konstruktion, Material, Oberfläche, Farbe und Proportionsverhältnissen, sodass das vorherrschende Grundprinzip der Architektur: Verändern doppelt augenscheinlich wird.

Bloßes Bauen und Architektur bewegt sich als schmaler Grat zwischen Abhängen, der kulturelles Distinktionsvermögen und Wissen voraussetzt und die geistökonomisierte Geschmacksfrage zu umgehen voraussetzt.

Zurecht am Ende – um sich ein persönliches Urteil zu bilden – entscheidet jedE nach „gefällt oder gefällt mir nicht“. Das halte ich auch für ein notwendiges Bedürfnis, aber soll das ständig verkürzt und medial die Quintessenz einer Gestaltungseinschätzung und eines Werturteil aus Einfachheit und Einfältigkeit heraus sein?

Bei einer solchen Sekundeneinschätzung („Kenn ich, kenn ich nicht, komisch und fremd, und in der Hausverstandslogik: Schiach, weil anders“) erfahren wir nichts Neues mehr über die gegenwärtige und zukünftige, ja selbst über die vergangene Welt. Wir sind geistig, mental bereits verstorben, saturiert und gelangweilt, retrospektiv orientiert. Nun, unsere europäische Gesellschaft altert, darf auch oder besser: muss die Gestaltung auch altern, sprich: dem Vergangenen huldigen (vgl. Weltkulturerbe-Käseglocke). Anderseits ist die alternde Gesellschaft massiv geistig unterfordert, Freizeitstress inklusive Urlaubs- und Kulturschnäppchen sind die Indizien dafür, bei gleichzeitiger Ignoranz dieser wuchernden Wut-SeniorInnen des Frühruhestandes in ihrer totalen Lebenssinnlosigkeit, Enkelpflege und Überdrüssigkeit des Konsums. Dieses Massenphänomen wird parteipolitisch und medial mehrerlei missbraucht, anstatt aufklärend benutzt. Politik, Verzeihung meine Antiquiertheit (..der Menschheit, G. Anders) sollte doch vorwiegend informieren, aufklären und dies als Gestalten verstehen, anstatt feige dem Boulevard und der Dumpfheit Vorschub leisten und amateurhaft Budgets verwalten.

Kommen wir zu „süss/bitter/sauer usw.“ –Geschmacksnoten.
Diese Eigenschaftsbezeichnungen können wir nur umkreisen, indem wir die gesellschaftlichen und bauwerksspezifischen Aufgaben der Architektur beleuchten.

Zuerst mal am Bauwerk:

Die Organisation von Nutzung, Raum und die Beziehung der Menschen zueinander wird wesentlich durch Architektur geprägt.

Die Renditevorstellung und Werthaltigkeit eines Bauwerkes wird durch Architektur wesentlich mitentschieden.

Das Corporate Identity, das Image der Unternehmungen, der NutzerInnen wird durch Architektur wesentlich getragen.

Die Kosten der Errichtung, des Betriebes, der Wartung und der Entsorgung (technische Nachhaltigkeit) wird durch Architektur übermaßen budgetiert.

Die Entstehungsgeschichte der Architektur – das Prozessuale – wird durch die komplexe technische, wirtschaftliche und soziale Vorgänge beeinflusst und wird so zu einen transdisziplinären und gesellschaftlichen Dimension überschattet.

Die Gestaltung ist somit eine komplexe Differenzialgleichung oder MehrfachIntegral dieser oben erwähnten Prozesse, die überlagert werden durch einen konkreten Bauplatz, konkreten Auftraggeber und den Architekturdiskurs der Gesellschaften. Dieser Diskurs der Gesellschaften wird maßgeblich von Kreativen aller Art am Brodeln gehalten und findet natürlich Ausdruck und Niederschlag im zeitgenössischen Binnendiskurs der ArchitektInnen.

Dieser Binnendiskurs ist jedenfalls vielschichtig und mannigfaltig. Es gibt – GottseiDank – keinen Epochenkanon, also Stilrichtungsdogmen wie zu Vorzeiten mehr. Damit tritt Verunsicherung über unüberschaubare Gestaltungsmöglichkeiten auf und ein Rückzug auf das Vertraute und Abkehr vom augenscheinlich Anderen ist die Folge. Dies ist die befreiende und gleichzeitig lähmede Crux unserer Zeitgenossenschaft in Bezug Architekturgestaltung.

Jetzt haben wir noch gar nicht über die Form, die unbekannte, mythologische Ästhetik oder harmonische Schönheit und komplexer Eleganz et cetera erörtert. Diese Form soll ja von verschiedenen Ursprüngen (und oder Dogmen) kommen, so sagt man. Vom Gebrauch, vom semantischen Konzept, gesellschaftlicher Kommentierung, esoterischer Eingabe, eklizisitische Plünderei, kompromisslerischer Konsens, von der software, der Technolgie oder womöglich nur von der Form. In letzter Zeit kommt diese von Vorgaben Technokraten, Bürokraten und Normokraten, denn die Masse der ArchitektInnen antizipieren ihre Permanentkastration als Selbstschutz und produzieren je nach Abhängigkeitsgrad Blöcke, Schachteln, Klötze, platonische oder dekonstruierte, exaltierte Formen als blob, shelter animal, landscape und Skulptur bis zum fake-organism.

Das gab es schon alles einmal, nur jetzt eben nebeneinander.

Jeder der Ismen und Individualismen kann außergewöhnliche, singuläre Architektur und dem Auftraggeber, den NutzerInnen und der Gesellschaft besonderen Mehrwert wie Identiät, Spiegelung und Anregeung und Rückzug als mehrschichtiges kulturelles Artefakt über der momentane Funktion hinaus gewähren.
Wenn der professionelle Laie, die Politik und die Medien wollen. Sonst nicht, die Liste der ungebauten Singularitäten ist lang, es ist als würde „ die europäische Gesellschaft“ sich diesen Architekturen und Stadtplanungen verweigern, als wäre es unerträglich Schönheit und Dynamik zu ertragen.
Man könnte fast sagen „schön ist, was man versteht“.

Architekturgestaltungen sind extrem spezifisch und individuell, wie es unsere Alltags-, ja sogar Festtagskleidung mittlerweile auch wurde. Gottfried Semper und Monsieur Adolf Loos hatten es mit Stilprinzipien leichter und konnten noch eindeutig in ihren Stilepochen rezipiert werden. Nehmen wir uns das berühmte Beispiel „Haus am Michaelerplatz – das sogenannte Looshaus“ in Wien (1910), welches zur damaligen Zeit der Monarchie einen Skandal produzierte. Heute würden wir sagen, es ist von (nur) Außen betrachtet skandalös trivial und kommerzorientiert – also bloßes Bauen. Was ich damit sagen will, ist daß Architektur in der Zeit der Entstehung gesellschaftspolitische Funktionen und (psychische) Übertragungen – vorwiegend Veränderungen – übernimmt, und diese Funktion mit der Zeit verliert und sogar wie oben bei oberflächlicher Betrachtung sich ins Gegenteil verkehrt. Dieses Looshaus ist nur bei Kenntnis Kulturgeschichte als Architektur wahrnehmbar, ansonsten wird es aufmerksamkeitsökonomisch heute als blosses Bauen übersehen.

Dieses Schicksal wünscht man sich allerdings bei vielen zeitgenössischen Architekturen, vorausgesetzt diese sind komplex in ihre Zeit und vorausschauend eingebettet. Das kann man allerdings vom überwiegenden Teil der unter dem Deckmantel Architektur von ArchitektInnen geplanten und Bauherrn und Bauträger realisierten und/oder erzwungen „Architektur“ als Ausdruck der Mittelmäßigkeit – weil eben Unwissenheit und Zeitmangel vorherrscht – nicht behaupten.

Womöglich, tiefenpsycholgisch reagiert der professionelle Laie, also die entmündigte KonsumentIn haushälterisch und unter Aktivierung seines Selbstschutzprogrammes durch die Stammtischparole „neu = hässlich“, erdrückt vor der überbordenden Bilder- und Imageflut.

Im reflektorischem Wissen dessen entlarvt sich die alltägliche Aussage „Architektur sei Geschmackssache“ ziemlich, und dafür könnten politisch Verantwortliche und das PAS (politisch administrative System = Verwaltung), nur durch Rücktritt und Kündigung in einer aufgeklärten europäischen Gesellschaft rehabilitiert werden. Das Eingestehen des eigenen Unvermögens gepaart mit Machtgehabe, sich einer politischen, also aufklärerischen Aufgabe zu stellen – das Neue und Alte zu vermitteln, oder über Architektur zu schweigen, sich scheinbar ohne eigene, persönliche Meinung auf Experten auszureden – erklärt und dokumentiert den Niedergang und Unglaubwürdigkeit der Stadtpolitik mit.

„Trotzdem“ (..Adolf Loos 1931) entbehrt es nicht, ja muss gefordert werden, dass ArchitektInnen endlich ihre Gestaltung jenseits des Planes, der Images, des Modelles und gebauter Realität der Gesellschaft – dem professionellen Laien – zu erklären haben. Ein extremes Defizit an Vermittlung liegt vor, und wenn darüber gesprochen („erklärt“) wird, sind Gemeinplätze, Geheimfloskeln und Binnensprachlichkeit der Zunft die Zeugen von sprachlichen Unvermögen, Ausbildungsmangel und Unwissen über das eigene Tun oftmals vorherrschend.

Komplexe Zusammenhänge = Gestaltung einfach zu vermitteln wäre auch eine soziale Kunst der Architektur.
Kunst nimmt sich ja meist das Selbstverständnis heraus, erklärungs- und aufklärungslos seitens der Urheberschaft zu verbleiben, die Größe und Weite der Interpretation und Assoziation als zentrales Verständnis ausreichend zu belassen. Ich möchte das den Menschen bei der Präsenz, Unausweichlichkeit und Kosten der Architektur nicht zumuten.

Insofern wäre die Stadt-Architektur eine ziemlich hohe Kunst des Vermittelns und gestalteten Miteinander, ein soziale Kunstwerk – mitnichten. Das prägende Bauvolumen der Stadt – der Wohnbau als monofunktionale Siedlung – läuft den Grat der Eindimensionalität „Menge vor Nachhaltigkeit“ wider besseren Wissen der Politik und der Wohnbaugenossenschaften entlang, weil diese einfach keine Lust verspüren sich und ihren Einfluss zu ändern und lässt die europäische Integrationsmaschine Stadt als Geröll abstürzen.

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Autor:
maxRIEDER by sepp dreissinger2009maxRIEDER
maxRIEDER.at
ArchitekturWasserStadtLandschaft&Gestaltungsprozesse
plant&baut&lehrt&mediert&reflektiert

15 Kommentare zu “Wider – Architektur als Geschmackssache – süss/bitter/sauer…

  1. „..Ästhhetik ist eine Frage der Gewohnheit..“ Helmut Richter, in Memorian 1941-2014

  2. „…Ästhetik ist eine Frage der Gewohnheit…“ Helmut Richter, in Memoriam 1941-2014

  3. „Kunst nimmt sich ja meist das Selbstverständnis heraus, erklärungs- und aufklärungslos seitens der Urheberschaft zu verbleiben, die Größe und Weite der Interpretation und Assoziation als zentrales Verständnis ausreichend zu belassen“

    Hier kann ich nur vollkommen recht geben. Ich denke, dass das eines der Hauptprobleme ist, warum viele Menschen „aufgeben“ oder erst gar kein Interesse daran haben sich mit Kunst (und auch Architektur) zu beschäftigen.

    Der Gedanke „neu = hässlich“ stammt aus einem Nicht-Verständnis und dem damit einhergehenden Desinteresse heraus, das nur durch Vermittlung geändert werden kann, da durch diese Haltung die Bereitschaft, sich selbst damit zu beschäftigen, nicht gegeben ist.

    Um so interessanter ist es wenn zb Architekten, wie Sie, versuchen Konzepte und architektonische Entscheidungen zu erklären und somit ja eigentlich auch zu rechtfertigen, was vor einem desinteressierten oder einfach unwissendem Publikum, denke ich, schon nötig ist.

  4. Ich stimme hier vollkommen zu, wobei man bedenken muss, dass der Eindruck eines Gebäudes nur von außen gefällt wird obwohl der Innenraum sehr wichtig ist um das Werk überhaupt verstehen zu können. Ich finde, dass die Innenräume eines Gebäudes viel mehr aussagen und nicht nur wegen der Innenausstattung. Man muss auch bedenken, dass die Wahrnehmung eines Bauwerkes von der Farbe beeinflusst wird, von der Stimmung die wir haben wenn wir vorbeigehen, von der Aufmerksamkeit die wir dieses Gebäude widmen und vor allem die kleinen Details der Dekoration die erst später dazugekommen sind. Wenn wir ein Haus als Beispiel nehmen, wird sich der Architekt nie vorstellen können wie das Haus wirklich aussehen wird. Er kann die Längen, Größen usw. planen aber das Haus wird erst dann komplett bzw. fertig sein, wenn die Bewohner eingezogen sind und ein paar Pflanzen hingestellt, die Wäsche im Garten aufgehängt, die richtigen Vorhänge ausgesucht haben usw. Oft, empfinden wir alte Häuser als schön obwohl oder gerade deshalb, weil man schon abnutzungsspuren hin und da sieht und das ist genau das was der Architekt in der Planung nicht einbeziehen kann. Natürlich kann man absichtlich die Aufmerksamkeit der Passanten durch Optische Tricks anziehen (man muss nur an griechische Tempel denken) aber oft sind diese Extras gar nicht im Budget enthalten, je nachdem für welche Funktion das Gebäude bestimmt ist. Man hat sich mittlerweile an bestimmte Muster gewöhnt und oft ist die Vielfalt der Stile an einem einzigen Ort so groß, dass man gar nicht mehr hinschaut und einfach abschaltet. Natürlich entwickeln wir eine Resistenz gegen die Wahrnehmung gewisser Elemente, wenn man nur an die Zahlreichen Werbeplakate denkt die sich auf nur eine Straßenseite befinden, ist es kein Wunder, dass unser Gehirn versucht alles auszublenden.
    Wir sind überfordert und deshalb schalten wir aus oder aber haben wir es einfach satt jeden Tag dieselben Gebäudetypen zu betrachten und hoffen insgeheim dass jemand wieder das Geld investiert um klassische Gebäuden zu konstruieren die wir so sehnsüchtig in den alten Stätten der ganzen Welt suchen.

  5. Es ist schon wahr, dass viele “normale/r” Bürger/innen wahnsinnig viel auf den eigenen Geschmack geben und wenig bereit sind, sich den eigenen Vorurteilen zu stellen und diese zu hinterfragen. Ich denke, dass gerade in Punkto Gestaltung und eben auch Architektur an der Schule viel Aufholbedarf herrscht. Selbst an einschlägigen Schulen (Grafik, Gestaltung) wird das Thema Architektur wenn dann nur im Kontext der Kunstgeschichte behandelt – oder eher etwas gestreift, um bei der Wahrheit zu bleiben. Somit kann man als Mensch sich eigentlich fast nur auf seinen eigenen Geschmack verlassen, auf das was die Medien einem vorkauen, oder eben, wie von Ihnen vorgeschlagen, auf Wirtshausparolen wie “Neu = Hässlich”.

    Zu der von Ihnen angesprochenen bewußt-losen Wahrnehmung wollte ich nur sagen, dass dies meiner Meinung nach in sehr, sehr vielen Bereichen des öffentlichen und privaten Lebens stattfindet. Alles, was der Mensch nicht ertragen kann, muss irgendwie ausgeblendet oder vom Gehirn als “unwichtig” abgestempelt werden, damit man den unangenehmen Eindruck oder das unangenehme Erlebnis möglichst schnell wieder aus seinem System vertreiben kann.

    Bei der Einschätzung der Architektur sagten sie: “Bei einer solchen Sekundeneinschätzung („Kenn ich, kenn ich nicht, komisch und fremd, und in der Hausverstandslogik: Schiach, weil anders“) erfahren wir nichts Neues mehr über die gegenwärtige und zukünftige, ja selbst über die vergangene Welt.”
    Genau da muss ich Ihnen wirklich völlig rechtgeben. Man müsste die Leute wieder mehr motivieren, ihre eigenen Ansichten zu hinterfragen. Und wie Sie auch weiter ausführen, in unserer Gesellschaft herrscht offensichtlich ein massiver Konsumzwang bei gleichzeitiger Überdrüssigkeit desselben und fehlendem Lebenssinn. Ich bin überzeugt, dass eben genau dies in starkem Zusammenhang mit der fehlenden Bereitschaft steht, den eigenen Geschmack und die eigenen Vorurteile zu hinterfragen, da grundlegende Bedürfnisse des Menschen ungestillt bleiben. Doch solange der Konsument konsumiert wird man zumindest aus wirtschaftlicher und medialer Sicht wohl kaum den Wunsch haben, dies zu ändern. Ganz im Gegenteil.

    Und wie Sie am Schluss auch ausführen, wenn Gestaltung einfach vermittelt werden könnte, und auch wenn so manche Kunst- und Architekturschaffende sich nicht einfach so im Elfenbeinturm verschanzen würden, dann wäre ermutlich schon viel gewonnen.

  6. Ich würde, ähnlich wie meine Kollegin, einen Schritt weiter gehen und sagen, das grobe Wahrnehmungsgerüst schützt uns nicht nur vor Trivialem und Hässlichem, sondern blendet schlicht all diejenigen Elemente aus unserer Umgebung aus, die für unser aktuelles Vorhaben nicht von Bedeutung sind. Um dieses Selbstschutzprogramm, das uns den Alltag erleichtert, selektiver anzuwenden, sprich die Umwelt bewusster wahrzunehmen, schlage ich vor sich tage-,stunden- oder minutenweise mit der geistigen Aufnahmebereitschaft eines Touristen durch die Straßen zu bewegen und vermeintlich Bekanntes neu zu erfassen.
    Ich kann dem Loos Zitat einiges abgewinnen, doch gebe ich zu bedenken, dass Bildung immer auch mit Motivation verknüpft ist. Insofern ist der Aufholbedarf nicht so sehr eine Frage der Bildungsmöglichkeiten, hätte man doch zum Beispiel mit dem Internet und nicht zuletzt mit dieser Platform ein für Jedermann zugängliches Werkzeug, sondern eine Frage der Motivation und Bereitschaft dazu. Meiner Meinung nach sind wir als Gesellschaft zu wenig empfänglich für Architektur- und Umweltgestaltung und messen diesem Thema mehrheitlich bereits in unseren eigenen vier Wänden einen viel zu geringen Stellenwert bei. Dieses mangelnde Interesse für Gestaltung schafft eine denkbar schlechte Basis für eine Diskussion jenseits von Geschmack und Vorliebe und ich halte es für eine zentrale Aufgabe unserer Bildungseinrichtungen die Jungen für die Bildende Kunst zu sensibilisieren und zu motivieren.

  7. In architecture, the public audience is mainly focusing on shape. Resulting from a digital era and its instantaneous services, it is now more important to amaze than to function.
    The definition of architecture has slowly drifted into this notion of ‚beautiful‘, and the architect has no other way to get recognised than to build sculptural shapes through technological performances.
    Does that mean that the function of the buildings are evolving? It seems to me that functioning architecture is most of the time a derivate from what it was originally planned. Architecture works when it is taken by its users, and turned into what they really need. When this appropriation is actually in process, architecture becomes active.
    Should architects have tastes in architecture? I believe that the architect is the one person in the society that should be able to detach himself from tastes and be critical through analysis. It does not make any sense to judge a building through its shape, but more through its uses of its budget, its cleverly found solutions, and the new uses it let grows.
    Sadly, this is not the position that the architect is being given today in the society. How can this situation be changed? And how can the architect can take the position he is actually learning in architecture school?

  8. Den heutigen Architekten stehen gewaltige Aufgaben gegenüber. Die Gesellschaft wünscht sich die funktionalen, ästhetischen, wirtschaftlichen und ökologischen Aspekte in der Architektur gleichermaßen zu vereinen. Gleichzeitig wird ein Budget seitens des Investors definiert.

    Sobald Architektur allerdings eine Form annimmt und visuell dargestellt wird, neigt der Mensch dazu binnen kürzester Zeit Gefallen oder Nicht-Gefallen zu empfinden ohne die Architektur bewusst wahrzunehmen und konstruktiv zu betrachten. Das Unterbewusstsein, geprägt von der Vergangenheit, lässt sich schwer von seiner Einstellung abbringen.

    So reicht es wenn die Architektur schön, preiswert oder nachhaltig ist. Es bleibt kein Platz für Architektur die streng einer Vision folgt und diese sich über ihre Gestalt oder Form dem Betrachter bzw. Nutzer äußert. Ästhetik sollte als Ausdruck dienen und nicht versuchen die größte Aufmerksamkeit auf sich zu beziehen und im weiteren Sinne als Selbstzweck dienen.

    Die Haptik eines Materials sollte in den Hintergrund treten und die Freiheit und die Unversehrtheit muss zum Vorschein gebracht werden. Oft wird vergessen dass es sich bei Architektur um die Gestaltung der zukünftigen Welt handelt.

  9. Die Frage nach dem Geschmack, der subjektiven Wahrnehmung, ist eine recht kontroverse – natürlich und vor allem in der Architektur. Dem einen gefällt dies, dem anderen das. Doch, wenn es um wichtige Entscheidungen geht, wem obliegt es ein Urteil zu treffen, wer befindet sich in dieser Superposition? Der Architekt – als „Gestalter“, „Designer“ und „Ästhet“?

    Der Architekt sollte was den „Geschmack“ betrifft einen kühlen Kopf bewahren und, wenn man so will, die Position eines Art „Über-Ichs“ einnehmen: Er sollte seinen eigenen Geschmack außen vorlassen und empfinden bzw. befinden was für die jeweilige Situation am passendsten und sinnvollsten, nicht aber was am „schönsten“ ist und was ihm am besten gefällt.

    Diesbezüglich ist es natürlich auch wichtig sich dem Vergangenen, der Tradition bewusst zu sein – was nicht bedeuten soll, dass man Altes „verherrlichen“ oder Altem stets „huldigen“ soll. Was viel wichtiger wäre: die Möglichkeit zu nutzen, aus „Fehlern“ zu lernen und daraus seine Schlüsse zu ziehen, um gewisse Gegebenheiten und Situationen zu optimieren und zu verbessern.

  10. „Passt nicht zur Umgebung, zu hoch, zu dicht, zu modern!“. Kaum soll wo etwas gebaut werden, gibt es Widerstand seitens „besorgter“ Anrainer und wird damit Architektur tatsächlich zur reinen Geschmacksfrage. So verhinderten z.B. genau jene wackeren Salzburger mit dem Anspruch „brauch´ma ned!“ eine zukunftträchtige Stadtteilentwicklung in Lehen oder wollten in der Riedenburg architektonisch belanglose Kasernengebäude erhalten und – weil nach dem Zweiten Weltkrieg als Flüchtlingslager genutzt – zu „Zeitzeugen“ aufwerten. In der Hoffnung, damit die Anzahl der dort geplanten 300 Wohnungen drastisch reduzieren zu können, gehen sie mit der Stadtpolitik und der Stadtplanung hart ins Gericht und ignorien, wie sich die Landeshauptstadt Salzburg in den letzten 20 Jahren entwickelt hat. Niemand kennt die Stadt jedoch besser als die Statistik: So ist Bevölkerung seit 1999 stark gestiegen (um fast 8% auf 153.766 Einwohner). In den beiden nördlichen Stadtbezirken Lehen und Elisabeth-Vorstadt wohnen mehr als fünfmal so viele Bürger wie im Durchschnitt des Stadtgebiets (2341 Einwohner/km2). Das Medianeinkommen bei den Frauen beträgt gerade einmal € 2.059,– brutto je Monat. Dagegen liegen die Kaufpreise für Neubauwohnungen im Stadtgebiet zwischen € 4.740,– je m2 (Lehen) und € 11.700,– je m2 .(Riedenburg, Aigen). Auch Grund und Boden wird immer teurer. Der Durchschnittspreis pro Quadratmeter Bauland liegt aktuell bei € 780,– (2003 waren es noch € 368,–). Hinsichtlich der Bebauungsdichte stechen wieder die beiden nördlichen Stadtbezirke Lehen (10,2 Wohnungen je Gebäude) und Elisabeth-Vorstadt (8,8 Wohnungen je Gebäude) hervor. Unter Außerachtlassung all dieser Fakten diskutieren Hobbyarchitekten und -stadtplaner aufgeregt über Bebauungsdichte, Architekturgestaltung, Architekturqualität und Außenraumgestaltungsqualität und kritisieren dann hauptsachlich, wenn die Farbgestaltung der Gebäude nicht ihrem Geschmack entspricht. Anrainer als Gestaltungsbeirat oder (halbwegs) mutige Stadtpolitiker, die lieber auf kompetente Fachleute hören – das ist hier letztlich die Frage.

  11. „Man könnte fast sagen ’schön ist, was man versteht‘.“ Autsch irgendwie tut das weh, es so schwarz auf weiß zu lesen, vor allem, weil man als (humanistisch) gebildeter, studierter Mensch glauben mag, man stehe da drüber. Schließlich hat man gelernt seine Umwelt kritisch zu reflektieren. Und bestimmt fällt es demjenigen leichter Neuem und Unbekannten offeneren zu begegnen und Schönheit in Dingen zu erkennen, die unvertraut sind, wenn man sich schon oft mit ähnlichem auseinandergesetzt hat und gelernt hat (darüber) nachzudenken. Was aber, wenn man das Unbekannte nicht nur nicht kennt, sondern auch nicht versteht? Es fällt schwer, sich einzugestehen, dass die negativen Gefühle, die es auslöst in Unkenntnis gegründet sind; daher rühren, dass man etwas nicht versteht. Dabei sollte es ein Ansporn sein, Anregung sich mit einer Sache genauer zu beschäftigen, anstatt ein Urteil zu fällen, aber es ist leichter zu sagen, das mag ich nicht, weil das versteh ich nicht – wie damals im Mathematikunterricht. Es sollte nicht so leicht sein aufzugeben. Besonders im Hinblick auf Architektur und dem von Ihnen beschriebenen zur Zeit vorherrschendem Konzept der „Menge vor Nachhaltigkeit“ ist es besonders wichtig sich mit dem Bauen und Bauwerken auseinanderzusetzen, um zu einem fundierten Urteil über ein architektonischem Werk zu kommen. Es wird so viel gebaut, besonders im Grünen in Stadtnähe, aber ein durchdachtes Konzept scheint zu fehlen. In jenem Vorort vor Linz in dem ich fast 18 Jahre meines Lebens verbracht habe, wuchern die dreistöckigen Wohnanlagen, aber eben nur diese. Für Infrastruktur, wie kulturelle Einrichtungen, Restaurants, etc. muss man meist in die Stadt oder zumindest ein Stück weit fahren. Aber die Menschen leben den Traum vom Häuschen im Grünen. Der Vorort großteils noch von Bauernhöfen und alten Wohnhäusern geprägt zeigt sich heute durchwachsen mit weißen und roten Klötzen „moderner“ Architektur, es gleicht einem hastig zusammengetuckerten Flickenteppich. Im Moment wird nur gebaut, wo aber bleibt die Architektur?
    Hat man Angst, vor dem Groll der Leute, die, weil es vielleicht nicht einfach zu verstehen ist, ärgerlich die Bierkrüge schwingen – aber dann was ist zu fürchten? Die Krüge müssten sie ja jetzt woanders schwingen, schließlich hat man das alte Gasthaus gerade abgerissen und zwei Wohnblöcke mit Penthousewohnungen daraufgesetzt.

  12. Der Gedankte, dass neu gleich hässlich ist, führt unweigerlich zu der Frage nach dem Schönen. Schon Immanuel Kant hat in seiner Kritik der Urteilskraft (1790) festgestellt, dass Ästhetische Urteile auf privaten, subjektiven Empfindungen des Gefallens oder der Abneigung und der Lust oder Unlust basieren. Die Essenz eines ästhetischen Urteils liegt aber darin, dass sie zwar subjektiven Ursprungs ist, aber den Anspruch auf Allgemeingültigkeit hat. Genau in diesem Punkt, liegt meiner Meinung nach, der Hund begraben. Wenn man sich im Allgemeinen, über die Subjektivität seiner ästhetischen Urteile bewusst wäre, würden man mit Sicherheit noch immer ästhetische Urteile aussprechen, aber diese würden nicht mehr so radikal ausfallen. Ich denke, dass hierdurch der Mensch in seinem Denken differenzierter werden würde und sich möglicherweise ab und zu, auch eines ästhetischen Urteiles enthalten würde. Somit könnten andere Komponenten, wie psychologische Aspekte, soziologische, oder anthropologische mehr in den Fokus der Architektur rücken und diese sind für eine „gesunde“, „glückliche“ Gesellschaft essenziell.

  13. Neuartige oder etwas andere Architektur sticht immer ins Auge, wird extrem diskutiert und genau unter die Lupe genommen. Und natürlich spalten sich dann auch die Meinungen. Wenn etwas Neues entsteht, ist es nun mal neu und der Mensch ist ein Gewohnheitstier. Wenn wir etwas nicht kennen, stehen wir dem auch skeptisch gegenüber.
    Und viele trauen sich nicht hinter den Vorhang zu blicken und dem eine Chance zu geben. Sie haben Angst vor dem Unbekannten und begeben sich in eine Blase des Selbstschutzes. Doch woher kommt diese Angst? Ist es eine Angst, das dahinter nicht zu verstehen und sich zu blamieren? Oder ist es die Faulheit sich mit etwas Unbekanntem auseinanderzusetzen? Ich weiß es nicht.
    Doch umso toller sind Menschen, die nicht gleich sagen, dass sie etwas nicht mögen, sondern sich dieses Etwas erst ansehen, wirklich detailliert ansehen, und erst nach genauem Beobachten, Analysieren und Hinterfragen eine Meinung bilden. Besonders ausgefuchst sind diejenigen, die darüber nachdenken, ob sie etwas kritisch sehen, weil es ihnen noch nicht vertraut ist.

    Was nicht vergessen werden darf ist, dass auch die Umgebung einen enormen Einfluss hat. Das Gebäude kann noch so schön sein, wenn es neben einer fürchterlichen Wohnsiedlung und einer düsteren Landschaft steht, wird das nichts nützen.

  14. Es stimmt schon, dass der enge Geschmack als Ausdruck von wenig Bildung und Engstirnigkeit fungiert – erfreut sich doch die/der Intellektuelle und Gourmet und kritische Mensch an einer Vielzahl (fein abgestimmter) Geschmäcker.

    Während die Stadt als utopisch multidimensionaler Kulturraum für eine Heterogenität dienen sollte, werden dort die eindimensionalen Interessen jener verwirklicht, die sich diese ihre Realisierung ohnehin leisten können. Das heterogene mehrdimensionale Gesamtinteresse mit seinen Bedürfnissen bleibt dahinter zurück.

    Daneben existiert nun mal ein steter Wandel und zu akzeptierende notwendige Veränderung – in Gesellschaft und Stadt(bild), die nicht immer in unseren kleinkarierten und alternden Geist passen.

    Ich weiß auch aus eigener Erfahrung mit einer einstmaligen Vorlieben für Altes und Traditionelles, dass erst eine ausführliche Beschäftigung mit und über Architektur mir die schönen und spannenden Seiten von einstmals verhassten Roh-, Hoch-, Glas- und Wohnbau aufgezeigt hat.
    Dies sollte zu einer allgemeinen Einladung zur Beschäftigung mit Architektur und der Stadt- und Lebensraumgestalt führen. Wie schon im Artikel angesprochen kommt diese gerade in der Schule (und dem Fach der Bildnerischen Erziehung) bedauerlicherweise großteils zu kurz.

    Doch fehlende Schulbildung allein soll keine Entschuldigung sein. Ernsthaftes Schauen, Nachdenken und der Versuch des Genusses sollten sich schon als genügend erweisen. Hinter jedem Gebäude und Ort, jeder Gestaltung (und Nicht-Gestaltung) liegt eine Geschichte – diese muss nicht visuell min. 100 Jahre alt sein um schön zu wirken. Man braucht nur die Geduld diese zu erfahren und plötzlich kann auch „Hässliches“ spannend werden, faszinierend wirken und genossen werden. Auch oder besonders weil dies kein Plädoyer gegen eine anzustrebende besser-Gestaltung und eine Beibehaltung des Status-quo darstellt.

  15. Am Beginn fragte ich mich sofort, wie mein Geschmack, mein Gefühl von Ästhetik und von schönen Gebäuden entstanden ist. Liegt alles am sozialen Konstrukt oder ist auch ein Teil von „mir“ im Gesamten meiner Wunschvorstellungen meines Traumhauses vorhanden? Welche Teile hab ich im Laufe der letzten Jahre aufgefasst, was schön sein soll, aber nicht schön ist? Warum fasse ich die typischen modernen „kalten“ Häuser und Villen sofort als Häuser von reichen Leuten auf? Vielleicht konnten sie sich keine alten Holzschindeln leisten, ein Flachdach kommt doch bestimmt billiger als ein Steildach? Nur naive Gedanken eines Kleinkindes, wobei wir alle wissen, was gerade im Moment als „IN“ und „OUT“ gesehen wird. Weiters ist mir aufgefallen, dass ich persönlich stilistisch andere Häuser hätte, wenn ich in Island oder in der Toskana leben würde. Das Haus würde in die Landschaft passen müssen.. eine Palme vor dem Haus in Island würde nur in Plastik überleben – also auch Frage der Umwelt, des Klimas und der Temperaturen. Als Landschaftsgärtner oder Waldarbeiter hätte ich wahrscheinlich im erdgeschoß einen zusätzlichen Raum fürs Umziehen und „Stiefel“ verstauen, als Musiker einen Probenkeller und als Arzt eine typische kahle Wohnung, wie es uns in Filmen oder Serien übermittelt wird. Meine Wohnung steht als Status, wenn ich Anwalt oder Pilot wäre. Alles kahl und Kinderzeichnungen auf dem Kühlschrank wären unvorstellbar. Oder würde eine Kinderzeichnung die ernstzunehmende Person, schwach oder gar unseriös wirken lassen?

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