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Neue Anwendungspotenziale künstlerischer Ausbildungen // Plädoyer für einen Erkundungsprozess

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Günther Marchner – Es scheint eine Kluft zu bestehen – zwischen den, oft unausgesprochenen, Leitmotiven von künstlerisch ausgebildeten Menschen, ihrer Orientierung an einer ausschließlich künstlerischer Tätigkeit einerseits, und der Tatsache, dass nur ein Bruchteil künstlerisch Ausgebildeter im Sinne eines erwarteten Rollen- und Berufsbildes von künstlerischer Tätigkeit leben kann, andererseits. In meinem Beitrag plädiere ich für ein unverkrampftes, jedoch methodisches Ausloten und Identifizieren von Betätigungsfeldern, die Kunstabsolvent_innen auf Basis ihrer künstlerischen Kompetenzen neue Möglichkeiten einer existenzsichernden Erwerbstätigkeit aufzeigen.

Denn mit Blick auf den Kunst- als Arbeitsmarkt gehen zwar zahlreiche Absolvent_innen einer rein künstlerischen Tätigkeit nach und erwirtschaften damit einen Teil ihres Einkommens. Doch gleichzeitig sind sie mit ihrem Ausbildungshintergrund, ihrer Kompetenz und ihrer Kreativität im weitesten Sinne dienstleistend tätig, sei es, in dem sie Grafiken und Designs erstellen, Texte und Gebrauchsmusik produzieren – und/oder mittels vermittelnden und gestalterischen Aktivitäten ihre Existenz sichern. Doch werden Absolvent_innen von Kunstuniversitäten auf diese selbständigen Berufsfelder vorbereitet? Gibt es jenseits der `rein´ künstlerischen Tätigkeit oder einer kunstvermittelnden pädagogischen Tätigkeit – wofür traditionell in Kunstuniversitäten ausgebildet wird – einen „dritten“ Weg, für neue, alternative Anwendungsfelder künstlerischen Ausbildungen?

Hybride Realität: Künstlerische Ausbildung und Erwerbseinkommen

Die Kluft zwischen dem Wunsch nach künstlerischer Tätigkeit und der beruflichen Realität künstlerisch Ausgebildeter widerspiegelt sich auch in der Aussage eines Vertreters der Musikuniversität Mozarteum, die nicht nur im deutschsprachigen Raum als eine der renommiertes Hochschulen im musikalisch-künstlerischen Sektor gilt:

„Der internationale Ruf des Mozarteums liegt in der künstlerischen Ausbildung. Wir hatten und haben renommierte Professoren mit hoher Anziehungskraft. Im deutschsprachigen Raum ist auch der pädagogische Bereich sehr wichtig. In diesem Bereich sind die Berufsaussichten besser als im künstlerischen Bereich. Im künstlerischen Bereich ist die Konkurrenz sehr groß, sie ist sogar gewachsen. Nur wenige AbsolventInnen schaffen auch international einen Durchbruch […]. Alternative Einsatzgebiete für AbsolventInnen gibt es bestimmt, aber nur rudimentär, nicht signifikant. Meine Einschätzung ist: Künstlerisch Ausgebildete sind vielfach nicht in einem Beruf tätig, in dem sie ausgebildet wurden. Das hat oft existenzielle Gründe… Es können nicht alle Menschen mit einer künstlerischen Ausbildung auch als Künstler tätig sein. (Aber) wir müssen zukünftig auch Zusatzausbildungen anbieten.“ (Gratzer 2011, zit. in: Marchner 2011: 52)

Sowohl meine Beobachtungen als auch diese Aussage widerspiegelt sich in Zahlen: Eine Untersuchung zu Absolvent_innen deutscher Kunsthochschulen kommt zu folgendem Ergebnis (vgl. Wieselberg 2013: o.S.): Es gibt unterschiedliche Gruppen von Absolvent_innen. Die erste Gruppe ist nach Abschluss einer künstlerischen Ausbildung in einen Bereich tätig, der mit Kunst gar nichts zu tun hat. Die zweite, kleiner werdende Gruppe besteht aus denjenigen, die ausschließlich künstlerisch tätig sind. Die dritte und größte Gruppe bilden diejenigen, die künstlerische Arbeit mit anderen Bereichen und Einsatzgebieten verbinden. Sie kombinieren zum Beispiel künstlerische Tätigkeit mit Web-Design, sie sind als Maler_innen tätig und arbeiten gleichzeitig in einem Museum oder sie sind gleichzeitig als Musiker_innen, im Musikunterricht und in der Produktion von Filmmusik. Diese Gruppe umfasst gut 50% der Absolvent_innen. Dies ist Grund genug, diese Gruppe als Potential für neue Wege im künstlerischen Bildungsbereich zu erfassen.

Künstlerische Tätigkeit im Kontext des Creative-Hype

Einerseits wird Kunst als wichtiges Element einer von Kreativität getriebenen Wirtschaft und Gesellschaft wahrgenommen, andererseits wird diese Beziehung auch problematisiert, im Sinne einer Funktionalisierung oder Ökonomisierung von Kunst.1 Es geht an dieser Stelle aber nicht darum, Künstler_innen als Vorbild für Kreativwirtschaft zu idealisieren, schon gar nicht als `role models´ für oftmals prekäre Arbeitsbedingungen. Es geht darum, neue Anwendungspotentiale für Menschen mit künstlerischen Ausbildungen jenseits des klassischen Kanons an Rollen- und Berufsbildern wahrzunehmen und diese im Hinblick auf die Möglichkeiten, die sich aus einer künstlerischen Ausbildung, den Anforderungen an Erwerbstätigkeit und den Rahmenbedingungen des Arbeitsmarktes erkennen lassen, auszuloten und zu entwickeln. Dies vor dem Hintergrund eines Trends, dass immer mehr Arbeitsformen und Berufe selbst erfunden, entwickelt und organisiert werden (müssen) und immer weniger Arbeit in vorgefertigten Bahnen, Berufsbildern und Karrieren verfügbar ist.

Seit gut ein bis zwei Jahrzehnten ist (in diesem Zusammenhang) ein neuer Begriff am Schlagwörterhimmel aufgetaucht, der vielen schon bis zum Abwinken vertraut ist: `Kreativität´. Im Sinne der Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit reifer Industriegesellschaften in den USA und Europa werden Kreativität, Creative Industries und kreative Milieus als Schlüsselfaktoren einer dynamischen Wirtschaft und einer lokalen Wirtschafts- und Standortpolitik entdeckt, teilweise hochstilisiert. Auch für die Entwicklung von Städten spielt der Faktor der Kreativität (Creative Cities) eine Rolle. Dies hat natürlich mit notwendigen Herausforderungen und mit einem enormen Anpassungs-, Veränderungs-, Problemlösungs- und Innovationsdruck zu tun – auch aufgrund der Beharrungsmomente unserer Systeme und Institutionen. Unabhängig davon, wieviel Hype, Ideologie oder falsche Erwartungen in diesem Bereich stecken, ist Kreativität von aktueller Bedeutung und bildet – allen ideologisch geprägten Diskussionen zum Trotz – ein Fundament jeglicher künstlerischer Aktivitäten. Es geht daher nicht darum, Kunst auf ein Element von Kreativwirtschaft zu reduzieren. Es geht um die Wahrnehmung der vielfältigen, auch spannungsreichen, Beziehungen und Potenziale zwischen Kunst und Kreativwirtschaft.

Generell werden `kreative´ Milieus als Grundlage für die Schaffung von Neuem erkannt. War Wirtschafts-, Regional- und Standortpolitik vor Jahrzehnten auf die Schaffung von `harter´ Infrastruktur – Straßen, Gewerbegebiete, – fokussiert, so haben sich die Faktoren für die Innovationsfähigkeit von Regionen und Städten verschoben. Heute sind es Forschungs- und Bildungseinrichtungen und Innovations- und Technologiezentren sowie die Beziehungen zwischen Unternehmen, Forschung, Bildung und öffentlichen Institutionen, die als `Innovationssystem´ eine entscheidende Rolle spielen – vor allem als Rahmenbedingungen für kreative Milieus und Prozesse. Im Wesentlichen geht es um folgende Fragestellungen: Was braucht es, damit Austausch, neue Ideen, Entwicklung und Innovation in Unternehmen und in Städten wie Regionen überhaupt passieren können? Welche Rahmenbedingungen ziehen kreative und qualifizierte Menschen an? Und welchen Beitrag leisten diese für die gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung von Städten und Regionen?

Im Rahmen der Diskussion dieser Fragen entstand der Begriff der „Creative Class“, den der US-Forscher Richard Florida (2002) einführte, als er die Bedeutung der Gruppe hochqualifizierter und kreativer Kopfarbeiter_innen für die Wirtschaftsentwicklung und Entwicklung von Standorten identifizierte, ebenso wie den Einsatz neuer Technologien und die Offenheit gegenüber Minderheiten und vielschichtigen Interessen. In europäischen Städten führte dieser Ansatz zur Forcierung der „Creative Industries“, zu Deutsch: Kreativwirtschaft, also jene Branchen und Feldern, denen die Fähigkeit zugeschrieben wird, Neues und Originäres zu schaffen. Dazu werden etwa die Bereiche Architektur, Werbung, AV-Medien, Printmedien und Verlagswesen, Software, Design Grafik, Musikwirtschaft, Darstellende Kunst oder Bildende Kunst gezählt. Alleine die Aufzählung dieser Bereiche weist darauf hin, dass Menschen mit künstlerischen Ausbildungen eine nicht unwichtige Rolle für diesen Sektor spielen.

Im Hinblick auf diese neuen Felder gilt es allerdings zu differenzieren: zwischen einem, vor allem durch Ein-Personen-Unternehmen und kleine Büros geprägten privatwirtschaftlich organisierten Kreativsektor einerseits, und jenem Feld der meist gemeinnützig organisierten Kultureinrichtungen und Kunsthäuser (Museen, Bibliotheken, Theater, Mehrsparten-Häuser), die unter dem Begriff der Kulturwirtschaft subsumieren werden, andererseits. Und es gilt ebenfalls zu differenzieren im Hinblick auf die Anwendung künstlerischer Ausbildungen: Künstlerisch Ausgebildete können unter verschiedenen Vorzeichen, in verschiedenen Kontexten und in verschiedenen Rollen tätig sein: Sie setzen ihre Ausbildung in ` klassischer´ Form beruflich um, sie sind als künstlerische Unternehmer_innen tätig und/oder sie setzen ihren Ausbildungshintergrund in klassischen kreativen Dienstleistungen gestalterisch ein.

`Kreativwirtschaft´ und `Kulturwirtschaft´ bilden jene Sektoren, die erst seit den 1990er Jahren als Teil der Wirtschaft wahrgenommen werden, da in diesen Bereichen ein ständiges Wachstum an Unternehmen, Beschäftigten und an Wertschöpfung zu bemerken war. In Österreich erschien 2004 als eine der ersten Studien eine Untersuchung zum ökonomischen Potenzial der „Creative Industries“ in Wien (Kulturdokumentation/Mediacult/Wirtschaftsforschungsinstitut 2004). Diese Studie war auch eine Grundlage für die Initiierung der Kreativförderagentur `Departure´ und die Positionierung der Stadt Wien mit Kreativwirtschaft bzw. kreativen, durchaus auch künstlerisch motivierten Initiativen. Seither wurde auf die Entwicklung dieses Bereichs österreichweit geachtet, sei es durch weiterführende Untersuchungen und durch einschlägige Förderinitiativen in vielen Städten. „Österreichs Kreativwirtschaft auf der Überholspur“ hieß es anlässlich der Veröffentlichung des vierten Österreichischen Kreativwirtschaftsberichtes im Dezember 2010: mit einem Wachstum an Unternehmen in der Kreativwirtschaft von 10% auf rund 36.000 innerhalb von fünf Jahren und einer Steigerung der Umsätze um 25% auf rund 18,5 Milliarden Euro im selben Zeitraum. Im fünften Kreativwirtschaftsbericht aus dem Jahr 2013 wird festgehalten: Jedes 10. Unternehmen gehört zur Kreativwirtschaft, es handelt sich um 38.400 Unternehmen mit 130.400 Beschäftigte (4,1% der Beschäftigten). 63% sind Ein-Personen-Unternehmen (EPUs). 42% davon befinden sich in Wien, 40% in weiteren Städten/Ballungszentren. 18% der Kreativwirtschaftsbetriebe befinden sich in ländlichen Regionen.

Die Tatsache, dass es in einem Land wie Österreich nicht nur einen überdurchschnittlich großen kulturwirtschaftlichen Sektor mit Kultureinrichtungen in allen Städten und einem Netz an Festivals gibt, sondern auch einen wachsenden Sektor an Kreativwirtschaft; ist grundsätzlich als Potenzial für eine Vielfalt an Anwendungsmöglichkeiten für künstlerisch Ausgebildete wahrzunehmen.

Drei Beispiele zeigen meines Erachtens, wie sehr künstlerische Tätigkeiten in Verbindung mit anderen Kompetenzen und Kombinationen eine zeitgemäße Anwendung erfahren (vgl. Marchner 2011, S. 20-24 bzw. S. 74-76 und Kaindl 2012: o.S.):

  • Beispiel 1: Ein Musikfilmproduzent, der seinen künstlerischen Hintergrund mit einer Vielfalt an weiteren Kompetenzen in einem international agierenden Filmproduktionsunternehmen in Salzburg verbindet: als Kreativer und als Projekt Manager kombiniert er Medien, Kunst und Musik, basierend auf einem künstlerisch-fachlichen, betriebswirtschaftlichen und juristischen Ausbildungshintergrund.
  • Beispiel 2: `Musik machen´ kann vieles sein: als Musiker_in tätig sein, als Produzent_in, als Vermittler_in, als Programmgestalter_in, als Eventmanager_in – oder als Herausgeber_in eines zeitgenössischen Musiklabes. Es erfordert eine Kombination gleichwertiger künstlerischer, organisatorischer, betriebswirtschaftler u.a. Kompetenzen.
  • Beispiel 3: Kurt Kaindl als Vertreter des renommierten Fotohof in Salzburg versteht Fotografie als künstlerische und als handwerkliche Tätigkeit. Eine zeitgemäße Ausbildung für Fotografie und eine zukunftsweisende Anwendung erfordert seines Erachtens künstlerische, kulturelle, handwerkliche und Medien-Kompetenzen.

Elemente der kreativen Stadt: Salzburg als Beispiel

Die Herausforderung, das kreative und geistige Potenzial von Städten sichtbar und besser nutzbar zu machen, lässt sich (auch) am Beispiel der Stadt Salzburg verdeutlichen. Politiker_innen, Verwaltungszuständigen und Stadtplaner_innen scheint zunehmend bewusst zu werden, dass diese Stadt nicht nur aus Kulturerbe, Tourismusmassen, Sound of Music und Festspielen besteht. Für die Zukunftsentwicklung einer Stadt geht es darum, ihr Kreativ- und Wissenspotenzial wahrzunehmen, zu fördern und für die Stadt zu erschließen.

Diese Perspektive wird beispielhaft aufgrund folgender Daten überdeutlich: Im 2010 beherbergte das Bundesland Salzburg – mit Übergewicht auf den Zentralraum Salzburg – 199 Filmproduktionsunternehmen, 1842 Werbeunternehmen, 241 Unternehmen im Bereich Buch und Medienwirtschaft. Als besondere Potenziale im Bereich der Kreativwirtschaft gelten Industriedesign, Mode, Filmproduktion, Architektur und urbane Räume, Musik und Audioproduktion, Multimedia, Werbung, Kommunikation sowie Inszenierung und Eventmarketing (vgl. Bruck o.J.). Für das Bundesland Salzburg werden ca. 2.400 Unternehmen dem kreativwirtschaftlichen Bereich (mit insgesamt 7.800 Beschäftigten) zugeordnet. In der Stadt Salzburg umfasst dieser Sektor mehr als 10% aller Unternehmen (vgl. Wirtschaftskammer Salzburg 2010).

Als Kultur- und Kunststadt weist die Stadt Salzburg im Jahr 2009 62 Veranstaltungseinrichtungen mit 70 Veranstaltungsorten, 3841 Veranstaltungen mit insgesamt 730.000 BesucherInnen auf. Für Ausstellungen ist für dieses Jahr festzuhalten: 79 Ausstellungsorte, 359 Ausstellungen mit insgesamt 3,2 Millionen BesucherInnen (vgl. Magistrat Salzburg 2010).

Der Salzburger Zentralraum im Jahr 2013 beherbergt als Standort für Wissen und Bildung mit der Paris-Lodron-Universität, der Universität Mozarteum, der Privatmedizinischen Universität, der pädagogischen Hochschulen und der Fachhochschule gut 20.000 Studierende, rund 45 außeruniversitäre Forschungseinrichtungen, 20 Museen, 17 Archive, 30 Bibliotheken, 33 Kindergärten und ca. 100 Schulen (von Volksschulen bis zu berufsbildenden höheren Schulen), abgesehen von der Landschaft der Erwachsenenbildungseinrichtungen sowie rund 600 Kulturvereinen (vgl. Stadt Salzburg MA 2/00 2013).

Diese Zahlen weisen auf eine sehr hohe Dichte an kulturellen Einrichtungen und entsprechenden Ausbildungsstätten und somit auch auf eine hohe Dichte an wissenschaftlich, kreativ und künstlerisch Ausgebildeten hin. Die Stadt Salzburg verfügt über einen besonderen Kunst- und Kulturschwerpunkt. Auch wenn diese Zahlen überdurchschnittlich hoch sind, so widerspiegeln sie das typische Potenzial österreichischer Städte in vergleichbarer Größe.

Salzburg hat ein weithin bekanntes Branding als „Kulturstadt“. Aber die Attraktivität dieser Stadt für junge Studierende, für Kreative und für Künstler_innen erfordert, den im Grunde breiten Sektor an zeitgenössischer Kunst und Kultur und die Vielfalt an jungen Kreativen, an KünstlerInnen und Kulturschaffenden aus dem `Schatten´ der Dominanz von Kulturerbe, Großfestival und althergebrachten Images herauszuholen.

Schnittstellen zwischen Bildung, Forschung, Kunst, Kultur und (Kreativ)Wirtschaft identifizieren – Potenziale nutzen

Es ist bemerkenswert, dass in dieser Stadt zwischen den Universitäten, der Landschaft an Kultureinrichtungen und der wachsenden Szene an kleinen kreativwirtschaftlichen Unternehmen bislang kaum systematische Beziehungen entwickelt, Schnittstellen geschaffen und daraus hervorgehende Potenziale identifiziert und genutzt werden. Man gewinnt den Eindruck, dass Ausbildungs- und Forschungsinstitutionen und auch eingesessene klassische wie zeitgenössische Kultureinrichtungen viel zu sehr in gewohnten Bahnen, Denkmustern und Orientierungen verharren – obwohl sich gleichzeitig im Umfeld (Arbeitswelt) vieles ändert.

Ich plädiere für ein offenes Ausloten neuer Potenziale und Schnittstellen und für die Überwindung von institutionellen wie gedanklichen Barrieren und Unterscheidungen, wie zum Beispiel zwischen den Universitäten und dem von Kleinstunternehmen geprägten kreativwirtschaftlichen Sektor. Diese Notwendigkeit, gewohnte Bahnen, Denkmuster und Orientierungen aufzubrechen gilt im Besonderen auch für Ausbildungswege und Anwendungsmöglichkeiten im künstlerischen Bereich. Ein Großteil künstlerisch Ausgebildeter ist damit konfrontiert, dass in den klassischen Feldern und erwarteten Berufsbildern und Karrieren, wie etwa Musiker_in oder Bildende/r Künstler_in, nur sehr eingeschränkte Möglichkeiten für die eigene Existenzsicherung bestehen. Die Suche nach neuen beruflichen Umsetzungsmöglichkeiten einer Ausbildung kann nicht nur das „Privatproblem“ von Absvolvent_innen sein. Daher erscheint es mir als unerlässlich, dass Ausbildungsinstitutionen sich mit alternativen und neuen Anwendungspotenzialen und daraus sich erschließenden beruflichen Möglichkeiten in der Lehre, in der Forschung und in der Gestaltung von Rahmenbedingungen umfassender auseinandersetzen.

Ein praxisorientierter Suchprozess: Weder Idealisierung der Kreativszene noch Verharren im Elfenbeinturm

Salzburg ist nur ein Beispiel für viele andere Städte mit einer Vielzahl an Kunst- und Kultureinrichtungen, Ausbildungsstätten und Künstler_innen. In der Realität ist nur ein Bruchteil von künstlerisch Ausgebildeten ausschließlich künstlerisch tätig. Das Gros an künstlerischen Absolvent_innen arbeiten quasi `hybrid´, in einem Mix aus künstlerischeren Projekten und Aufträgen einerseits und Dienstleistungen zum Broterwerb auf Basis ihrer Kompetenzen andererseits. Die Entwicklung von neuen Erwerbsperspektiven mit Kunst kann eine lustvolle Perspektive sein. Aber sie erfordert entsprechende Kompetenzen, die auch in einem Studium vermittelt werden müssen. Dieser dritte Weg wurde bisher in künstlerischen Ausbildungsstätten in Österreich noch zu wenig aufgegriffen2.

Künstlerisches Denken und Handeln leistet – auch jenseits künstlerischer und vermittelnder (pädagogischer) Tätigkeit – einen wichtigen Beitrag für neue Sichtweisen, Zugänge, Lösungen, kurz: `Innovation´ im wirtschaftlichen und im sozialen Sinne. Gesellschaft und Unternehmen brauchen künstlerische Kreativität in einem breiteren Ausmaß, als dies oft in klassischer, kanalisierter Form geschieht. Unsere Zukunftsfähigkeit braucht künstlerische Kreativität für die Erweiterung unserer Wahrnehmungsfähigkeit, für neues Denken und neue Impulse. Angesichts dieser Anforderungen ist es angebracht, neben der Ausbildung für rein künstlerische und für pädagogische Tätigkeit, neue Wege zu gehen. Es geht nicht darum, Künstler_innen in eine neoliberale Ökonomie zu `hetzen´. Es geht darum, im Sinne geistiger Kreativität und künstlerischer Neugier neue Perspektiven unvoreingenommen auszuloten. Das gilt auch für wirtschaftliches und unternehmerisches Denken.

Dabei wäre es wichtig, einen derartigen `dritten´ Weg der Anwendung künstlerischer Ausbildungen institutionell zu verankern. Dazu gehört eine Vielfalt an Wegen: Sei es fundierte Grundlagenforschung an den Schnittstellen von Kunst und Gesellschaft, seien es inter- und transdisziplinäre anwendungsorientierte Entwicklungsprojekte zwischen Universität, Unternehmen und Kultureinrichtungen oder auch Kunstschaffenden, oder seien es modulare praxisbezogene Lehrveranstaltungen, die es ermöglichen, unvoreingenommen und unverkrampft, auch Arbeitswelten abseits des inhärenten Kunstsystems kennen zu lernen und übergreifend das Anwendungspotenzial künstlerischer Fähigkeiten in unterschiedlichen Branchen experimentell zu erkunden, zu reflektieren und zu entwickeln.

Denn vielleicht ist nicht der/die virtuose Spezialist_in – der/die Pianist_in, der/die bildende Künstler_in oder der/die Komponist_in – das (einzige) Rollenmodell der Zukunft künstlerischer Ausbildungswege, sondern das historisch Vorbild der kreativen, vielfältig interessierten und experimentierfreudigen und hybriden Generalist_innen, wie zum Beispiel Leonarda da Vinci oder Goethe es waren.

______________

Autor
Günther Marchner, Dr.,
studierte Geschichte und Politikwissenschaften an der Universität Salzburg. Er ist als Organisationsentwickler, Moderator, in der angewandten sozialwissenschaftlichen Forschung und als Projektentwickler sowie als Lehrbeauftragter an den Universitäten Salzburg und Klagenfurt tätig. Er ist Mitbegründer des Büro für angewandte Sozialforschung & Entwicklung, der conSalis Enwicklungsberatung e.Gen. sowie Mitinitiator und Partner des Projekts `City Labor Salzburg´.

 

Foto: Thorsten Krienke cc licence by sa bearbeitet von bernhard jenny cc by sa

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Referenzen

Wieselberg, Lukas (2013): Künstler als Vorbild für die `Kreativwirtschaft´. In: science@orf.at, 15.4.2013, online unter: http://science.orf.at/stories/1715906 (26.5.2015)

IG Kultur Österreich (Hg., 2012): Widersprüche der kreativen Stadt. Kulturrisse. Zeitschrift für radikaldemokratische Kulturpolitik. Heft 3/2012.

Florida, Richard (2002): The Rise oft he Creative Class. And How It`s Transforming Work, Leisure, Community and Every Day Life. New York.

Kulturdokumentation/Mediacult/Wirtschaftsforschungsinstitut (Hg., 2004): Untersuchung des ökonomischen Potenzials der Creative Industries in Wien. Wien.

Creativ Wirtschaft Austria & Wirtschaftskammer Österreich (Hrsg.). (2010). Vierter Österreichischer Kreativwirtschaftsbericht. Kurzfassung. Schwerpunkt Kreativwirtschaft und Wertschöpfungssysteme. Wien. http://www.creativwirtschaft.at/document/4.Kreativwirtschaftsbericht-kurz-deutsch_Web.pdf. Zugegriffen: 30. April 2015

Creativ Wirtschaft Austria & Wirtschaftskammer Österreich (Hrsg.). (2013). Fünfter Österreichischer Kreativwirtschaftsbericht. Kurzfassung. Schwerpunkt Kreativwitrschaft als regonaler Faktor. Wien. http://www.creativwirtschaft.at/document/Kurzfassung_5__KWB_web.pdf. Zugegriffen: 30. April 2015.

Marchner, Günther (2011): Interview mit Wolfgang Gratzer, in: Ders.: Creative City Salzburg – Eine Perspektive. Unveröffentlichte explorative Studie im Auftrag der Altstadt Salzburg Marketing Gmbh. Salzburg, S. 52-53.

Ders. (2011): Interviews mit Michael Schalle und Stefanie Schurich, in: Ders.: Creative City Salzburg – Eine Perspektive. Unveröffentlichte explorative Studie im Auftrag der Altstadt Salzburg Marketing Gmbh. Salzburg, S. 20-24 bzw. S. 74-76

Marchner, Günther (2012): Unveröffentlichte Zusammenfassung eines Vortrags von Kurt Kaindl im Rahmen des Info-Meeting des City Labor Salzburg am 12. Dezember 2012 im Coworkingspace Salzburg.

Bruck, Peter (o.J.): Kreativität Salzburg. Strategiepapier für eine standortpolitische Schwerpunktsetzung.

Wirtschaftskammer Salzburg (Hg., 2011): Kammermitgliederstatistik, April 2010 (Mitgliederstand Ende 2008), online unter: http://www.aikammeros.org (vom Januar 2011).

Magistrat Salzburg (Hg., 2010): Kultur 2009, Jahresbericht der Abteilung 2, Kultur und Schule, Salzburg.

Stadt Salzburg MA 2/00 (Hg., 2013): Wissensstadt Salzburg. Band 2: Analyse der Angebote und Strukturen in der Stadt Salzburg. Salzburg.

1 Beispielhaft vgl. dazu IG Kultur Österreich (2012)

2 Im Rahmen des Schwerpunkt `Wissenschaft und Kunst´ der Universität Mozarteum und der Paris-Lodron-Universität Salzburg – und auch mit dieser nun vorliegenden Publikation – wurde dieses neue Feld bereits betreten. Mit Aufgreifen der Debatte rund um `Arts Entrepreneurship´ und Ausloten von Schnittstellen, Synergien und Herausforderungen zwischen Kunst, Wirtschaft und Forschung werden neue innovative Perspektiven aufgezeigt, ebenso wird künstlerische Tätigkeit mit Management- und Organisationskompetenzen und dabei vor allem Gründungsperspektiven verknüpft.

4 Kommentare zu “Neue Anwendungspotenziale künstlerischer Ausbildungen // Plädoyer für einen Erkundungsprozess

  1. Ein viel zu reales Thema, für viel zu unrealistische Ausbildungsinstitutionen.

    Günther Marcher bringt es mit diesem Plädoyer auf den Punkt. Kreative, gut ausgebildete Menschen stecken hinter Innovationen. Ob es nun auf den offensichtlich künstlerischen Bereichen, wie bildende Kunst, Musik,Architektur ist, oder in Bereichen, wie Software- Entwicklung, Management, Handwerk etc.
    Allerdings kann der Großteil der künstlerisch Ausgebildeten Absolventen, die dieses kreative Potential mitbringen, nicht Fuß in der realen Wirtschaft fassen.

    Warum?

    Weil :“ Ausbildungs/ Forschungsinstitutionen…viel zu sehr in gewohnten Bahnen, Denkmustern und Orientierungen verharren“ – dadurch ist oft kein Platz im „Lehrplan“ für reale Anwendungsmöglichkeiten und Verknüpfungen zum wirtschaftlichen Sektor. Bzw. könnte man sogar den Vorwurf äußern, dass es diesen Platz gäbe, wenn es nicht gelinde gesagt als privates Problem jedes einzelnen angesehen würde, ob es ihm gelingt im Berufsleben Fuß zu fassen oder nicht.

    Oft scheitern herausragend kreative Köpfe an der Realität, da in der Ausbildung ausschließlich Wert auf das – auf die Spitze treiben kreativer Ideen gelegt wird, statt ebenso auf das – am Boden bleiben und die bestmögliche reale Anwendungsmöglichkeit für die kreativste Idee zu finden.

  2. „`Innovation´ im wirtschaftlichen und im sozialen Sinne. Gesellschaft und Unternehmen brauchen künstlerische Kreativität in einem breiteren Ausmaß, als dies oft in klassischer, kanalisierter Form geschieht. Unsere Zukunftsfähigkeit braucht künstlerische Kreativität für die Erweiterung unserer Wahrnehmungsfähigkeit, für neues Denken und neue Impulse. “
    Vielleicht gehört zu diesem auch eine Reform des Lehrsystems der Künstlerischen Hochschulen, Lehrveranstaltungen welche sich mit dem zukünftigen Möglichkeiten des Berufsbild des Künstlers auseinandersetzten. Zudem sollte der breiten Öffentlichkeit bewusst gemacht werden, dass die Kunst ebenso eine bedeutende Studienrichtung ist welche durchaus zu Innovation führen kann und dies nicht nur in der Technik und Wirtschaft möglich ist.

  3. Zuerst möchte ich Günter Marchner zustimmen. Es ist wirklich erstaunlich wie viele Absolventen und Absolventinnen von Kunstuniversitäten sich nach ihrem Abschluss neu orientieren müssen. Eine Professorin aus der Kunstgeschichte hat ihren Studentinnen und Studenten zu Beginn ihrer Vorlesung gesagt, dass man vor allem im Kunstbereich und auch mit einer kunstgeschichtlichen Ausbildung keinen Job nach dem Abschluss zugeworfen bekommt. Man muss sich bemühen und selbst an die Unternehmen herantreten und diese davon überzeugen, dass sie einem brauchen. Das klingt jetzt sehr nach Selbstvermarktung und zu einem gewissen Teil ist es das auch. Ich glaube, dass sich viele Studentinnen und Studenten zu Beginn eines Studiums an einer Kunstuniversität, egal in welchem Bereich, bewusst machen sollten, das dieses Studium sie fördert, ihr Wissen erweitert und ihnen neue Perspektiven eröffnet. Jedoch es keine Gebrauchsanleitung gibt, wie man in der Arbeitswelt besonders und effizient wird und Unternehmen einen unbedingt haben wollen. Jeder Mensch ist anders und hat andere Qualitäten und Kompetenzen, man kann diese fördern, allerdings gibt es einfach keine Gebrauchsanweisung für später, weil man nie weiß, wie sich eine Gesellschaft und auch die wirtschaftliche und politische Lage eines Landes oder einer Union entwickelt und man nicht voraussehen kann, welche Arbeitstypen auf dem Markt gebraucht werden. Die Devise ist, nicht aufgeben und weitermachen und an das was man kann glauben und dies effizient zu vermarkten.

  4. Ich selbst durchlaufe ein künstlerisch-pädagogisches Studium und kann daher viele Problemstellungen, welche der Autor aufzeigt, gut nachempfinden. Als Künstlerin, die ein künstlerisches Lehramtsstudium belegt scheint man oftmals genau in der Mitte der Möglichkeiten zu schwimmen, was als Fluch und Segen zugleich gelesen werden kann. Auf der einen Seite wird man selbst künstlerisch ausgebildet und kann im Laufe der Ausbildung an den eigenen künstlerischen Fähigkeiten und Fertigkeiten arbeiten, welche begünstigen könnten, dass man eigenständig als Künstler*in erwerbstätig ist. Auf der anderen Seite unterzieht man sich auch einer pädagogischen Auseinandersetzung mit dem künstlerischen Fach, was das Unterrichten an Schulen ermöglicht. Doch gerade innerhalb dieser Dichotomie sehe ich ein Spannungsverhältnis, dessen Lösung ein großes Potential für die künstlerisch Ausgebildeten der Zukunft haben könnte. Denn ich selbst strebe nicht den Beruf der Lehrerin an, sehe aber die Möglichkeiten, welche in dieser Mischung zwischen eigener künstlerischer Praxis und der kunstpädagogisch-vermittlerischen Rolle liegen. Im Rahmen dieser Ausbildung erhält man eine Vielzahl an wissenschaftlichen Hintergrundinformationen und ein pädagogisches Skillset, welche weit über den Bereich der Schule hinaus Anwendung finden können. Darüber hinaus schult die individuelle künstlerische Praxis den Blick und statten den Menschen mit Ausdruckformen aus, mithilfe derer Bezug zur Welt genommen werden kann. Hierbei handelt es sich um Fähigkeiten, welche in einer Vielzahl von Berufen Anwendung finden und das auszuübende Berufsbild auch positiv verändern könnten, insofern diese Ausbildung auch für Berufe jenseits einer Lehrstelle anerkannt und geschätzt werden würde.
    Hierbei handelt es sich um einen generellen Widerspruch, welcher in der Bildungs- und Leistungsgesellschaft der Gegenwart oftmals herrscht: Zum einen erwarten viele Arbeitsgeber*innen absolute und konkrete Expertise im anzustellenden Arbeitsbereich, wodurch eine, von den Erwartungen abweichende Ausbildung als unzureichend gesehen wird. Zum anderen scheinen Stellenausschreibungen nach Alleskönner*innen zu suchen, deren Fähigkeiten nach einer Interdisziplinären Ausbildung bedürfen, wie sie oftmals nicht zu finden ist. In diesem Sinne erscheint mir notwendig, bei der Anstellung von Personen nicht lediglich auf das absolvierte Studium zu achten, wie es in Österreich oftmals der Fall zu sein scheint. Viel mehr ergibt sich die ganzheitliche Betrachtung der Arbeitnehmer*innen als sinnvoll; also auch zusätzliche Ausbildungen, bisherige Arbeitserfahrungen, belegte Workshops und interessensbedingt erlernte Fähigkeiten. Meiner Meinung nach könnte diese ganzheitliche Betrachtung einer Person ebenfalls die Menschen motivieren, Dinge jenseits des erlernten Berufsfeldes auszuprobieren und sich anzueignen, wenn sich hier auch Vorteile in der Berufsfindung ergeben würden.

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