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Wien: Ziele eines Neustarts mit der Öffentlichkeit generieren

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Strategie zur stadträumlichen Konditionierung Wiens: Wir sprechen hier von einer schnell wachsenden Stadt, die den Mythos der Metropolenbildung zumindest aus ihrer Geschichte heraus suggeriert.

Wien erhielt – jeweils um die letzten beiden Jahrhundertwenden – die Chance, sich als mitteleuropäische Metropole neu zu erfinden, zur Großstadt zu wachsen. Dazwischen gab es die lange Periode der Stagnation einer schrumpfenden Stadt, die von ihrer Vergangenheit zehrte, ohne Willen und Kraft für Gegenwart und Zukunft.Die erste Chance, Wien Jahrhundertwende 1900/2000, beförderte Wien zu einer der damaligen Weltmetropolen. Kunst / Architektur / Literatur mutierten zum Transmissionsriemen des Stadt-Denkens und konstituierte noch immer gültige urbane Dispositionen nach hohen baukünstlerischen Ansprüchen die auch heute noch anschlussfähig bleiben. Zu wenig Beachtung fand allerdings die soziale Polarisierung als Folge der Umwälzungen einer entstehenden städtischen Industriegesellschaft. Genug gesellschaftlicher Sprengstoff um Wien nach dem Krieg, dem Ende der Monarchie an den Rand der Welt, fast in die Bedeutungslosigkeit zu katapultieren.

Die zweite Chance, Wien Jahrhundertwende 2000/2100, bleibt bislang den äußeren geopolitischen Veränderungen: der Ostöffnung, dem EU Beitritt, den intensivierten Immigrationsperioden und dem daraus resultierenden enormen Wachstum der Stadtbevölkerung geschuldet, während indessen die Struktur und Organisation der Stadtplanung in den alten Mustern der schrumpfenden Stadt verharrt. Aber auch die zweite Wiener Gründerzeit braucht übergeordnete Versuchsanordnungen mit Szenarien der sozialen Umbrüche einer sich neu formierenden städtischen Informationsgesellschaft.

In einer Art Laborsituation sollten konzeptuell agierende Architekten/Urbanisten im interdisziplinären Austausch ihr städtebauliches Denken im realen Kontext erproben. Entwerfen im urbanen Maßstab bedarf der Fähigkeit zur Abstraktion, der Zeit übergreifenden Meta-Modelle und nicht zuletzt der Imagination.

Jedes Nachdenken über die Zukunft der Stadt impliziert nämlich auch Momente des Utopischen. Zuerst stellt sich für uns Architekten/Urbanisten heute die Frage, ob eine übergeordnete stadträumliche Gesamtkonzeption für die zweite Gründerzeit, die sich in Wien in den letzten beiden Jahrzehnten etablierte, mit den derzeitigen Planungsinstrumenten bzw. mit den heutigen Organisationsformen der Stadtplanung überhaupt denkbar ist, in der gegenwärtigen globalisierten Welt mit den sprunghaften Investorenentscheidungen stadtbaukünstlerischen Kriterien gerecht werden kann? Gibt es hier eine Vorstellung, eine Ahnung von Stadt, ein Bild, eine Gestalt, die Wien im internationalen Kontext zukunftstauglich positionieren könnte? Werden sich durch Aneinanderfügung von formal bzw. strukturell hermetischen Wohnclustern Stadtteile formieren in der sich kulturelle und soziale Werte übergreifend entfalten können? Oder implizieren die postindustriellen Wirtschaftsbedingungen und die Digitalisierung der Kommunikationsströme geradezu eine Absenz von bewusst gestalteten öffentlichen Räumen, die sich übergreifend in den Stadtplan einschreiben?

Unsere so genannten Smart City Konzepte sollten nicht nur Dichte generieren, sondern auch Stadt im Sinne des Kollektiven, der Kombination von Freiheit – Arbeit – Wohnen konstituieren. Und dazu braucht es wieder urbane Erfindungen, offene Wohn-/Arbeitsräume für die Multitude, eine Vielheit von öffentlichen Räumen, in denen differente Bevölkerungsgruppen entspannt kommunizieren oder Gegensätze kultivieren.

Resümee: Wien braucht einen Neustart, ein übergeordnetes Stadtplanungsdepartment mit einem engagierten, interdisziplinären Team, das Kompetenz, Vision, Kontinuität einbringt und in dem es eine kompetente, charismatische Persönlichkeit als verantwortliche AnsprechpartnerIn gibt. Die Politik hätte neben gesellschaftspolitischen Vorgaben die Ziele in der Öffentlichkeit zu vermitteln – besser noch: die Ziele mit der Öffentlichkeit zu generieren.

_Um übergeordnete, konzeptuelle Planungsmodelle weiterentwickeln zu können, sollte die in den letzten Jahrzehnten in Wien praktizierte Trennung von Architektur und Städtebau ehestens revidiert werden. Im theoretischen Stadtdiskurs ist diese Erkenntnis schon des längeren akzeptiert. Jetzt wären die nötigen Rahmenbedingungen in entsprechende Planungsinstrumente zu übertragen.

_Wir registrieren in der gegenwärtigen Wiener Stadtplanungspolitik ein gewisses Paradoxon.Einerseits explodiert geradezu die Regelungsmethodik im unmittelbaren Lebensumfeld der einzelnen Bürger, sozusagen im Smart Bereich des städtischen Lebens, während für die Fragen der großmaßstäblichen Stadtkonzeption kaum mehr schöpferische Ressourcen zur Geltung kommen: Das bedeutet, dass weder Geld für zukunftsorientierte Entwicklungsszenarien budgetiert, geschweige denn in die Findung neuer Gemeinschaft generierender öffentlicher Raumformationen des sich verändernden städtischen Lebens investiert wird.

_Die Dezentralisierung weitreichender Planungskompetenzen hin zu den jeweiligen Bezirken erwies sich vielleicht in Zeiten des Bevölkerungsschwundes als zweckmäßig, entspricht jedoch nicht mehr den dynamischen Anforderungen der expansiven gegenwärtigen Stadterweiterungsbedingungen. Das Verhältnis Bezirk – Gesamtstadt – Grätzel wäre neu auszutarieren (AK: WIEN NEU: Reformen für die wachsende Stadt).

_Das neu zu gründende Stadtplanungsdepartment widmet sich der übergeordneten Stadtplanung und hätte auch die inhaltliche Verantwortung für Zukunftsszenarien, für eine Metaebene der Stadtentwicklung. Noch scheint es aber in Wien kein wirkliches Gefühl für eine originäre Gestaltung der Gegenwart in Fragen der Architektur und des Städtebaus zu geben, die so universell ist, dass sie ihre spezifische Identität erfolgreich in die Zukunft transformieren kann, ja, die Einzigartigkeit der Stadt als kulturelle Kraft noch steigert. Die Initiatoren betrachten die IBA Wien als Ausnahmezustand auf Zeit. Sieben Jahre dauert also der Ausnahmezustand und diese Zeit müsste reichen, um die Stadtplanung neu zu positionieren. Wir sollten die internationale Aufmerksamkeit, den begleitenden Stadtdiskurs nützen.

_Für die Wahrung bzw. innovative Weiterentwicklung der Identität bildenden Kontinuität von Stadträumen könnte ein Gremium nach dem Vorbild der Académie francaise als gesellschaftlich akzeptierte, kompetente Runde den Interessensausgleich Investoren/Bürger in konstruktive Bahnen geleiten.

_Das Feld der Stadtplanung muss wieder so aufgewertet werden, dass neben einer analytischsystematischen Rechtsplanung (Raumplanung) auch dem synthetisch-kreativen Entwerfen und Gestalten von Stadtraum ein erweiterter Möglichkeitsrahmen eröffnet wird. Der ’neue‘ Städtebau muss gesteigert als die Vermittlung zwischen gesellschaftlichen Bedürfnissen und deren übersetzung in den Raum wahrgenommen werden.

_ Unter diesen Prämissen brauchen keine radikalen Eingriffe oder visionären überlagerungen
gescheut werden, ja, sie könnten den gegebenen Kontext überhöhen, sollten Neues konstituieren.
Harte Gegensätze oder überlagerungen wären gegebenenfalls einem schleichenden, meist wenig intelligenten Tabula-rasa-Prinzip vorzuziehen.

Michael Hofstätter (PAUHOF Architekten)
Wien, Juni 2016

STRATEGIEPAPIERSTADTENTWICKLUNGWIEN
Kurzfassung
© PAUHOF 05/2016
im Auftrag
der Kammer der Architekten und Ingenieurkonsulenten
für Wien, Niederösterreich und Burgenland 

6 Kommentare zu “Wien: Ziele eines Neustarts mit der Öffentlichkeit generieren

  1. It looks like till now in Vienna was a big problem the communication between people who are in charge of city planning and citizens. Maybe is as well problem in some people who are working in Town Planning Department and aren`t suitable for their jobs. Definitely city planning should co-develop with citizens, listen to their wishes and needs. Due to the fact that all projects depend on investors, projects should be better presented and citizens should express their will. Like this also investors will see in which project is good to invest.

  2. It looks like till now in Vienna was a big problem the communication between people who are in charge of city planning and citizens. Maybe is as well problem in some people who are working in Town Planning Department and aren`t suitable for their jobs. Definitely city planning should co-develop with citizens, listen to their wishes and needs. Due to the fact that all projects depend on investors, projects should be better presented and citizens should express their will. Like this also investors are going to see in which project is good to invest.

  3. Auch meiner Meinung nach sollten definitiv die Bewohner Wiens in die Städteplanung miteinbezogen werden. Deren Wünsche und Vorlieben sollten an erster Stelle stehen, und können den Investoren eventuell ganz eigene Gestaltungsweisen aufzeigen und vorschlagen.
    Deshalb sollte auf alle Fälle den Einwohnern Wiens ein offenes Ohr geschenkt werden und auf ihre Vorschläge eingegangen werden.
    Besonders das Anliegen, die Identität der Stadträume durch ein Gremium neu gestalten zu lassen, finde ich ein sehr wichtiges und spannendes. Nimmt man sich die Académie francaise als Beispiel, so wird klar, dass ein Interessensausgleich zwischen den Bürgern UND den Investoren durchaus möglich und wünschenswert ist. Das würde eine Verbindung zwischen kreativem Entwerfen sowie dem konstruktiven Gestalten von Stadträumen zur Folge haben. Denn der Stadtraum lebt nicht nur von gesellschaftlichen Bedürfnissen, sondern auch von der Art und Weise, wie diese im Raum umgesetzt werden.

  4. Wie in diesem Bericht schon richtig erwähnt worden ist, wäre ich auch dafür, dass Arichtekturprojekte mit der Öffentlichkeit bzw. in diesem Fall mit Anwohnern besprochen und auch diskutiert werden.
    Die Stadt Wien sollte sich bemühen ein neues Stadtplanngsdepartement mit einem engagierten, interdisziplinären Team, das Kompetenz, Vision, Kontinuiutät einbrngt und in dem es eine kompetente, charismatische Persönlichkeit als verantwortliche Ansprechpartner/in gibt.

    Jedoch gibt es im Moment noch nicht wirklich ein Gefühl für eine originelle Gestaltung der Gegenwart in Architektur bzw. Städtebau Fragen. Vielleicht liegt die Ursache des Problems an der Kreativität.
    Die Kreativität und die Originalität sollten vielmehr gefördert werden, sodass neue und innovative Architekturen erbaut werden können. Wenn wir diese Kreativität und diese Originalität nicht weiterhin fördern und individuelle Gebäude zulassen, wird schlussendlich jede Stadt ähnlich bzw. gleich aussehen.

  5. Der Artikel ist wirklich außerordentlich lesenswert und spielt auf eine vielschichtige Art auf die verschiedenen Problematiken an. Der Vorschlag eines Gremiums nach dem Vorbild der Académie francaise um einen Interessenausgleich zwischen Investoren und Bürger zu schaffen, finde ich sehr interessant. Die Frage der generellen Notwendigkeit brauch vermutlich nicht gestellt werden, dennoch ist in Wien die Seite der Stadtplanung für viele Bewohner vermutlich größtenteils nicht nachvollziehbar. Das angesprochene interdisziplinäre Team zur Bildung der Smart-City ist auch schon im urban-analytischen Status notwendig eine bestimmte Interaktion mit den Bewohnern, vor allem der äußeren Bezirke zu pflegen. Die Politik hat dem entsprechen, wie oben bereits erwähnt einen entscheidenden Beitrag zu leisten um Ziele im Sinne der Öffentlichkeit zu ermöglichen. Die Frage der sog. Identität wird sich vermutlich aus dem architektonischen Interessen der Interakteure und dem sozialen Interesse der Bevölkerung und der Politik generieren. Das urbane Bild der Synergie aus Freiheit-Arbeit-Wohnen wird die infrastrukturellen Erweiterungen miteinbeziehen und adaptierbar lösen müssen um eine Dezentralisierung und Siedlungsbildung zu überwinden.

  6. Wie im Artikel beschrieben, soll eine Smart City Freiheit, Arbeit und Wohnen vereinen. Dafür muss sie radikal sein, so wie Zaha Hadids Bauten, bei denen der spitze Winkel Thema ist. Oder Le Corbusier, der fliegende Teile erschafft, verzogen, aufgewölbt. In letzter Zeit wird immer weniger eckig gebaut, dafür kommen organische, amöbenhafte, amorphe, abgerundete, quallenhaftige, animalische, pflanzliche, … Formen in den Vordergrund. Fast wie eine eigene Schöpfung! Für den Entwurf spielt in der Architektur immer die Ursprungsaufgabe mit. Wenn es um Dynamik, Mobilität, Schnelligkeit, Beweglichkeit und Komplexität geht, ist keine technische Konstruktion mehr findbar; dafür steht es für einen organischen Raum. Oder auch Gehry, der nur 30 Jahre älter ist als Zaha, kultiviert das Aufbrechen der Konventionen, einen „Clash of Culture“. Gehrys Collagenhaftigkeit erinnert auch stark an das Guggenheim-Museum mit seinem gewaltigen Eingangspartikus. Der Eingang, dessen Gerüst von höchst ausgebildeten Bergsteigern gebaut wurde, schaut von jeder Seite anders aus. Der Grundriss hat eine ganz komplexe Ordnung; man denkt fast, es hat gebrannt! Die Kritik am Guggenheim ist, dass man nicht alles reinstellen kann ins Museum, da das Gebäude so stark ist. Man geht eigentlich nur wegen dem Gebäude hin, nicht wegen dem Ausgestellten. Wie bei der Gestaltung von Museen muss auch bei der Architekturplanung in der Stadt Wien die Öffentlichkeit miteinbezogen werden.

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