Ursula Liebing – „Die Stadt ist Raum der Begegnung und vor allem Raum für persönliche Entfaltung. Hier werden gleichzeitig aber auch Widersprüche und Gegensätze und somit Gefahren sichtbar: Im städtischen Raum mit seiner Anonymität treten alle Formen von Diskriminierung auf, die in Arbeitslosigkeit, Armut und fehlender Wertschätzung für kulturelle Unterschiede wurzeln, während gleichzeitig zivile und soziale Praktiken der Solidarität enstehen.“
(aus der Präambel der Europäischen Charta für den Schutz der Menschenrechte in der Stadt).
Die Idee Menschenrechtsstadt
Kann die Idee einer Menschenrechtsstadt eine Zukunftsperspektive für die Mittelstadt sein, gerade angesichts der zunehmenden Heterogenität der städtischen Bevölkerung und ihrer Lebenslagen? Wenn man sich die Logik und Grundprinzipien der Idee Menschenrechtsstadt näher anschaut, liegt die Antwort und die Begründung dafür auf der Hand.
1) Es braucht einen gemeinsamen normativen Rahmen für das Zusammenleben. Die Idee und die explizite Orientierung an den Menschenrechten eignet sich als verbindende und verbindliche normative Antwort auf Zuwanderung, Diversität und die moderne Klassengesellschaft, in der nicht nur soziale Lagen die Lebenswelten stratifizieren, sondern in denen vorrangig unterschiedliche nationale Zugehörigkeiten und unterschiedliche Aufenthaltstitel den unterschiedlich privilegierten Zugang städtischer BürgerInnen zu Grund- und Menschenrechten (Teilhaberechten, sozialen Grundrechten etc.) bestimmen.
2) Ein gemeinsamer normativer Rahmen in der Stadt sollte angesichts der gewachsenen Heterogenität aus unterschiedlichen Traditionen der Weltanschauung und der religiösen Orientierung gleichermaßen zugänglich und nachvollziehbar sein. Mit dem der Menschenrechtsidee zugrunde liegenden Konzept der Menschenwürde ist ein ethisches Grundprinzip benannt, das aus unterschiedlichen Weltdeutungssystemen gleichermaßen anschlussfähig ist.
3) Menschenrechtsorientierung als gemeinsame normative Grundlage gefährdet den bestehenden Wertepluralismus nicht oder verengt ihn nicht auf eine – beispielsweise „christliche“ oder „abendländische“ – Wertetradition, sondern definiert eine (diskursethische) Basis und einen Rahmen, innerhalb die Freiheit der Selbstbestimmung und die Freiheit der Weltanschauung und der individuellen Sinnsuche anerkannt ist.
4) Da Individuen und nicht „(Leit-)Kulturen“ oder „Religionen“ oder „Traditionen“ Träger eines Menschenrechts-Anspruchs sind, bedeutet die explizite Menschenrechtsorientierung einer Mittelstadt weder eine Diversitäts-Pogramm, noch ein Schutzprogramm für Traditionen und Brauchtum, sondern verdankt sich dem Respekt und der Achtung vor dem Selbstbestimmungsrecht des Menschen und bringt dies zum Ausdruck.
5) Der Anspruch auf freie und gleichberechtigte Selbstbestimmung der Menschen bedeutet aber gerade aus dem Recht der Selbstbestimmung heraus zugleich den Respekt für die Vielfalt von Lebensformen und die Vielfalt von kulturellen Ausdrucksformen.
6) Menschenrechtsstadt zu sein ist – wäre – eine explizite (Selbst-)verpflichtung und tägliche Herausforderung für Stadtverwaltung und Stadt-Politik: Achtung, Schutz und Gewährleistung des (Zugangs zu) Menschenrechten im kommunalen Einflussbereich sind wesentlich für die Lebensqualität ALLER BürgerInnen der Stadt und somit Handlungsorientierung für EntscheidungsträgerInnen in all jenen Bereichen, in denen auf kommunaler Ebene der Lebensraum Stadt gestaltet wird.
7) Der Kampf gegen Diskriminierung, Rassismus und Ungleichbehandlung sind wesentliche Strukturprinzipien von Menschenrechten, sie sind unabdingbar für den Schutz insbesondere auch von Angehörigen besonders verletzlicher Gruppen. Und sie sind für den sozialen Frieden und die soziale Integration in der Stadt unverzichtbar.
8) Partizipation und Beteiligung von ALLEN in der Stadt über einen längeren Zeitraum aufhältigen Bürgerinnen (über niederschwellige Formen der Beteiligung ebenso wie über Wahlen) sind ebenfalls ein Grundprinzip einer Menschenrechtsstadt. Über Teilhabe und Partizipationsrechte wird die Zugehörigkeit zum kollektiven Raum der Stadt anerkannt, hergestellt und fortgeschrieben, und zugleich eine solidarische Gestaltung durch die Mitwirkungsmöglichkeit für alle Bürgerinnen und Bürger ermöglicht.
9) Die Förderung einer Kultur der Menschenrechte und die Förderung von Menschenrechtsbildung ist ebenfalls eine Kern-Aufgabe einer Menschenrechtsstadt: die Kenntnis der eigenen Rechte und die Achtung der Rechte anderer ist für die Entwicklung solidarischer Formen des Zusammenlebens wesentlich.
Menschenrechtsstädte in der Praxis
In Österreich gibt es aktuell zwei Mittelstädte, die Menschenrechtstädte sind: nämlich Graz und Salzburg. Graz ist die älteste Menschenrechtsstadt Österreichs, die Intitiative ging von einem politischen Verantwortungsträger, Bürgermeister Stingl, aus, und es gibt sowohl einen unabhängigen Menschenrechtsbeirat, als auch ein universitäres Meschenrechtsinstitut, das ETC Graz, das mit der Geschäftsführung des MR Beirats betraut ist und maßgeblich die Entwicklung und Umsetzung der Grazer Menschenrechtbildung trägt. Graz ist Mitglied des Human Right Cities – People‘s Movement (Decade) for Human Rights Education (PDHRE), das 1988 durch Shulamit König initiert wurde – diese Menschenrechtsnetzwerk vernetzt vor allem auch Menschenrechtsstädte in Ländern des globalen Südens.
Die Stadt Salzburg hat aufgrund einer Initiative der Plattform für Menschenrechte, eines zivilgesellschaftlichen Netzwerks, im Jahr 2008 die Europäische Charta für den Schutz der Menschenrechte in der Stadt unterzeichnet und ist Mitglied im Netzwerk „Europäische Konferenz Städte für die Menschenrechte“. Hier sind mittlerweile mehr als 200 überwiegend europäische Städte vernetzt, die die Selbstverpflichtung der Charta umsetzen. Renommierte Beispiele aus diesem Netzwerk sind Nürnberg und Genf. In Salzburg wurde in einem partizipativen Prozess, den die Plattform für Menschenrechte gemeinsam mit dem Integrationsbüro umsetzte („Projekt Menschenrechtsstadt Salzburg“), eine Bestandsaufnahme der menschenrechtlichen Situation erarbeitet. Die Einrichtung des Runden Tisches Menschenrechte, eines Gremiums, das aus VertreterInnen der Verwaltung, ExpertInnen und VertreterInnen der Zivilgesellschaft besteht, geht auf diesen partizipativen Prozess zurück. Seit seinem Bestehen hat der Runde Tisch Menschenrechte beispielweise die Installation einer niederschwelligen Anti-Diskriminierungsstelle initiiert und unterstützt diverse Projekte der Menschenrechtsbildung, die die Plattform für Menschenrechte umsetzt, zum Beispiel das Projekt Salzburger Menschenrechtskompass oder das Projekt Menschenrechtsschule Salzburg.
Warum?
Die Stadt ist ein kollektiver Raum, der seinen Einwohnerinnen und Einwohnern gehört – wie dies Artikel I der Europäischen Charta für den Schutz der Menschenrechte in der Stadt zum Ausdruck bringt.
„1. Die Stadt ist ein kollektiver Raum und gehört allen Einwohnerinnen und Einwohnern, die auch das Recht haben, hier die Bedingungen für ihre politische, gesellschaftliche und ökologische Entwicklung vorzufinden. Sie übernehmen gleichzeitig die Verpflichtung zur gegenseitigen Solidarität.
2. Die Stadtverwaltung fördert mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln den Respekt vor der Würde aller und die Lebensqualität aller Einwohnerinnen und Einwohner“.
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Autorin:
Ursula Liebing, Diplom Psychologin sowie Übersetzerin und Dolmetscherin. Lebt seit 1999 in Salzburg, zwei erwachsene Söhne. Arbeitet als Projektleiterin bei Frau & Arbeit gGmbH und ist im Koordinierungsteam der Plattform für Menschenrechte Salzburg für den Bereich Flucht und Asyl zuständig. Langjährige Tätigkeits-Schwerpunkte sind die Konzeption und Umsetzung von Integrations- und Partizipations-Projekten mit besonderem Fokus auf Frauen und Projekte der kommunalen und regionalen Menschenrechtsarbeit sowie Menschenrechtsbildung.
Foto: © Erika Pircher
11. Juli 2016 um 16:02
Leider liest sich dieser Text wie so viele, welche sich mit dem gleichen Thema auseinandersetzen zu versuchen. Es tut gut zu sehen dass wenigstens versucht wird das Thema grossformatiger zu diskutieren und öffentlicher zu bespielen, und natürlich ist die Stadt, wo Diversität und Multikultur zusammentrifft der richtige Ansatz. Was mich trotzdem nicht überzeugt ist die politisch aufgezwungene Korrektheit, welche selbst nur erfunden wurde und schliesslich befolgt und gelebt werden muss. Es ist doch infam zu behaupten, dass die Stadtverwaltung den Respekt vor der Würde Aller und die und die Lebensqualität aller Einwohnerinnen und Einwohner fördert. Das stimmt doch einfach nicht.
Gut wäre eine öffentliche Diskussion mit Gesellschaft und Politik, wobei man heutige Situationen, vor allem in der Stadt, ernsthaft und ehrlich analysiert und demnach aufrollen würde. Etwas wofür die Gesellschaft kaum Zeit findet und was die Politik, welche ihre Privilegien über alles geniesst und vehement schützt, nicht will – bzw. sogar zu verhindern versucht. Somit ist und bleibt dieser Text/Präambel gut gemeint und stösst wohl einige zum nachdenken an; aber ein guter Wille und die Beschönigung der gelebten Realität kann nicht das Ziel sein.
14. Mai 2017 um 21:07
Der Artikel „Mittelstadt als Menschenrechtsstadt“ von Ursula Liebing geht von der Stadt als zunehmend heterogenes Gebilde aus, worin Menschen einen unterschiedlich privilegierten Zugang zu Grund- und Menschenrechten (Teilhaberechten, sozialen Grundrechten etc.) haben.
Die AutorIn weist darauf hin, dass es einen gemeinsamen normativen Rahmen für das Zusammenleben geben müsse, wobei sich die Orientierung an den Menschenrechten als normative Antwort auf die sich verändernden Gegebenheiten eigne. Der Anspruch auf freie, gleichberechtigte Selbstbestimmung der Menschen bedeute Respekt für die Vielfalt von Lebens- und kulturellen Ausdrucksformen. Sie kommt zum Schluss, dass Menschenrechtsstadt zu sein, eine explizite (Selbst-)Verpflichtung und tägliche Herausforderung für Stadtverwaltung und Stadt-Politik bedeute. Partizipation und Beteiligung von allen über einen längeren Zeitraum aufhältigen BürgerInnen seien ein Grundprinzip einer Menschenrechtsstadt. Wie die Umsetzung in der Praxis idealerweise aussehen könnte, wird nicht erläutert.
Die AutorIn führt in der Folge zwei Praxisbeispiele an: Graz als älteste Menschenrechtsstadt Österreichs und Salzburg. Liebing geht auf die Initiativen und die Akteure ein. Die LeserInnen erhalten Informationen über Mitgliedschaften, Netzwerke, Plattformen und im Falle von Graz darüber hinaus über das Vorhandensein eines universitären Menschenrechtsinstituts etc.. Im Falle von Graz bleibt die Autorin aber die Information schuldig, welche Konsequenz sich aus den vielen Mitgliedschaften ergibt, während die LeserInnen im Falle von Salzburg erfahren, es wäre in einem partizipativen Prozess der Plattform für Menschenrechte und dem Integrationsbüro eine Bestandsaufnahme der menschenrechtlichen Situation erarbeitet worden. Darüber hinaus ist zu erfahren, dass der Runde Tisch, ein Gremium aus VertreterInnen der Verwaltung sowie Expertinnen und VertreterInnen der Zivilgesellschaft, eine Anti-Diskriminierungsstelle initiiert hätte und diverse Projekte der Menschenrechtsbildung unterstütze.
Letztlich ist der Artikel hinsichtlich der praktischen Umsetzung wenig informativ und lässt viele Fragen unbeantwortet. Denn aus den wenigen angeführten Projekten lässt es sich nur schwer erschließen, was den nun eine Menschenrechtsstadt in der Praxis sein soll.
4. Juni 2017 um 20:47
„Die Stadt ist ein kollektiver Raum, der seinen Einwohnerinnen und Einwohnern gehört“. So ein Satz sitzt und bringt mich zum zustimmenden Nicken. Das Konzept das in diesem Text vorgestellt wird klingt im ersten Moment toll. Im zweiten Moment fängt es dann jedoch zum Wackeln an, denn Fragen und Skepsis tauchen auf die das Konzept im Kopfe nicht Realität werden lassen sondern als nette Idee abwiegeln. Als ich den Text zu lesen begann musste ich unwillkürlich an die Umgestaltung des Südtiroler Platzes in Salzburg denken. Dieser Bahnhofsvorplatz war meistens ein Ort an dem sich Menschen befanden welche vermutlich Obdachlos waren. Sie saßen dort, tranken, und redeten. Vielen waren diese Gruppen ein Dorn im Auge, und nun als vermeintliche Lösung sollen ihnen einfach die Sitzgelegenheiten weggenommen werden. Und da musste ich dann fast Lachen als ich las, dass Salzburg eine von zweien Österreichweiten Menschenrechtsstädten sein soll. Vielleicht bin ich zu skeptisch doch für mich klingt das Konzept der Menschenrechtsstadt nach etwas weit entferntem, beziehungsweise gar nach einem Märchen. Aber es geschehen immer wieder Wunder und vielleicht wird das Märchen Menschenrechtsstadt in der Zukunft tatsächlich Fuß fassen, aber wie dies funktionieren soll ist für mich ein Rätsel.
21. Juni 2017 um 14:21
Dass es hier bei uns in Österreich eigene Menschenrechtsstädte gibt, wusste ich bis dahin noch nicht. Ein hochaktuelles und spannendes Thema, welches letzten Ende uns allen betrifft. Die „Diversität in der modernen Klassengesellschaft“ bemerken wir vor allem in den Städten, aber mit ihnen auch die sozialen Probleme, wie Arbeitslosigkeit. So war ich ebenso ein wenig überrascht, dass sogar Salzburg als Menschenrechtsstadt gezählt wird und fragte mich zugleich, ob und inwiefern Menschenrechtsstädte, im Vergleich zu den anderen Städten in Österreich, zu einer höheren Lebensqualität beitragen. Oder steht dieser Aspekt dabei gar nicht im Vordergrund?
12. September 2017 um 15:53
Auch für mich ist es ganz neu, dass es in Österreich nur zwei Menschenrechtsstädte gibt, da doch in allen Städten die Menschenrechte gelten? Dennoch finde ich die Idee beziehungsweise die Kernaussage der Menschrechtsstadt, so wie sie Frau Liebeing beschreibt, beeindruckend. Würden nun wirklich alle Bürger 100 Pronzent nach diesen Vorsätzen leben, beziehungsweise die gleichen offenen Zugänge finden, würde dies unser Miteinander bereichern und unsere Lebensqualität enorm steigern. Interessant wäre hier ein Vergleich der „Menschenrechtsstädte“ Österreichs zu jenen die es noch nicht sind.
18. September 2018 um 10:20
Während des Lesens des Artikels „Mittelstadt als Menschenrechtsstadt“ von Ursula Liebing fand ich viele Punkte, denen ich zustimme und die für mich Sinn ergeben. Die genannten Prinzipien der Menschenrechte tragen zu einer Idee einer Stadt bei, in der bei einer idealen Umsetzung ein besser Lebensraum für alle Bürgerinnen und Bürger der Stadt geschaffen werden könnte.
Trotzdem bleiben nach dem Text für mich viele Fragen offen. Die erste ist, was sich der Text als Ziel gesetzt hat, denn über eine oberflächliche Information geht er für mich nicht hinaus. Warum bezieht sich der Text ausschließlich auf Mittelstädte, wo doch Wien seit knapp 10 Jahren auch eine Menschenrechtsstadt ist? Während die Orientierung an Menschenrechten in der Stadtplanung lobenswert ist, fehlen für mich konkrete Beispiele. Die Autorin fragt, ob „die Idee einer Menschenrechtsstadt eine Zukunftsperspektive für die Mittelstadt sein [kann], gerade angesichts der zunehmenden Heterogenität der städtischen Bevölkerung und ihrer Lebenslagen?“ Beantwortet wird diese Frage mit „Wenn man sich die Logik und Grundprinzipien der Idee Menschenrechtsstadt näher anschaut, liegt die Antwort und die Begründung dafür auf der Hand“. Während die neun genannten Grundprinzipien lobenswert sind, wären konkrete Umsetzungsbeispiele als Weiterführung für den Artikel interessant.
Des Weiteren schreibt Frau Liebig, dass „die explizite Menschenrechtsorientierung einer Mittelstadt weder eine Diversitäts-Pogramm, noch ein Schutzprogramm für Traditionen und Brauchtum [bedeutet], sondern sich dem Respekt und der Achtung vor dem Selbstbestimmungsrecht des Menschen [verdankt] und dies zum Ausdruck [bringt].“ Besonders in diesem Fall wären weitere Erklärungen und Beispiele interessant.
Zwar erwähnt die Autorin vor allem drei Projekte in Salzburg, die die Idee einer Stadt als Menschenrechtsstadt unterstützen, jedoch sehe ich da nicht die Verbindung spezifisch zu einer Mittelstadt. Für neun Grundprinzipien hätte ich mir mehr konkrete oder geplante Beispiele oder Ideen erwartet, damit der Text über die reine Idee der Menschenrechtsstadt hinausgeht.
10. Oktober 2018 um 11:07
Die Idee der Menschenrechtsstadt erscheint mir sehr einleuchtend. Die Gesellschaft braucht einen gemeinsamen Wertekanon, um sich daran zu orientieren und Religionen haben diese Funktion für einen großen Teil der Bevölkerung verloren. Der Grundsatz „Die Stadt ist ein kollektiver Raum und gehört allen Einwohnerinnen und Einwohnern, die auch das Recht haben, hier die Bedingungen für ihre politische, gesellschaftliche und ökologische Entwicklung vorzufinden“ legt eine starke Basis für ein funktionierendes Miteinander. Jedoch erscheint mir die Bezeichnung als Menschenrechtsstadt lediglich als schöner Punkt auf der Website oder dem Ortsschild der Stadt. Ich war sehr überrascht, dass Salzburg eine Menschenrechtsstadt sein soll. Wenn auch einigen Projekten und Gremien erlaubt wird, zu existieren, so scheint mir die Grundidee des Rechtes auf Stadt für alle nicht in die tatsächlich umgesetzten Entscheidungen vorgedrungen zu sein. Die bereits in einem anderen Kommentar erwähnte Umgestaltung des Südtiroler Platzes, das Straßenmusikerverbot in weiten Teilen der Altstadt und ähnliche Handlungen machen deutlich, dass bestimmte Bevölkerungsgruppen in der Stadt nicht erwünscht sind. Große Teile der Altstadt werden nur für eine kurze Zeit des Jahres von Festspielgästen bewohnt. Durch die Gestaltung der Plätze rund um den Dom etc. wird klar gemacht, dass dies ein Ort für Touristen und die Reichen der Stadt ist, nicht für den viel größeren Anteil der Gesamtbevölkerung. Daher scheint mir die Bezeichnung „Menschenrechtsstadt“ für Salzburg eher zynisch und genau gegensätzlich zur Entwicklung der Stadt.
22. Mai 2019 um 15:11
Auch mir war beim Lesen dieses Artikels völlig neu, dass Salzburg eine Menschenrechtsstadt ist. Die Prinzipien einer Menschenrechtsstadt scheinen mir sehr gut und sinnvoll, doch frage auch ich mich, wie einige andere hier, wie diese konkret umgesetzt werden. Was macht es für mich als Bürger X für einen Unterschied, ob ich in Salzburg oder in Innsbruck (keine Menschenrechtsstadt) lebe? Ich finde es sehr gut, dass Salzburg die Charta unterschrieben hat und Ressourcen darauf verwendet sich für diese grundlegenden Rechte einzusetzen. Allerdings könnte im Bezug auf diese Themen die Kommunikation zu den Bürgern noch verbessert werden. Auf der Seite der Stadt Salzburg habe ich in einem Artikel über „Zehn Jahre Menschenrechtsstadt“ doch einige konkrete und interessante Punkte gefunden.
„Rund 200 Menschen pro Jahr suchen Rat bei der Antidiskriminierungsstelle, die Beratungen werden im ABZ Itzling und im Schloss Mirabell durchgeführt.“
„Seit 2013 werden in Salzburg, als einziger Stadt Österreichs, Gemeinderatssitzungen im Internet übertragen.“
„Migration macht unsere Stadt vielfältig. Linz, Paris oder Vietnam: Im „Haus der Stadtgeschichte“ werden Geschichten von Menschen gesammelt, die es nach Salzburg verschlagen hat. Migrationsarchiv heißt das Projekt, das gemeinsam mit der Universität Salzburg realisiert wurde. Durch Interviews wurden Lebensgeschichten aufgezeichnet, die als wichtige Zeitdokumente dienen. Die Geschichten werden in Form von Publikationen, Ausstellungen und Veranstaltungen mit den Salzburgerinnen und Salzburgern geteilt. Die Interviews sind seit dem Jahr 2017 im „Haus der Stadtgeschichte“ und online für alle einsehbar.“
(https://www.stadt-salzburg.at/internet/service/aktuell/aussendungen/2019/zehn_jahre_menschenrechtsstadt_salzburg_478983.htm)
29. Juli 2021 um 17:43
Der obenstehende Beitrag tut gut daran, über ein generelles Konzept aufzuklären. Allerdings kündigt er zugleich eine Aufklärung über die praktischen Umsetzungsmöglichkeiten von selbigem an – was nur in kleinen Teilen geschieht. In der Einleitung schreibt die Autorin:
„Kann die Idee einer Menschenrechtsstadt eine Zukunftsperspektive für die Mittelstadt sein, gerade angesichts der zunehmenden Heterogenität der städtischen Bevölkerung und ihrer Lebenslagen? Wenn man sich die Logik und Grundprinzipien der Idee Menschenrechtsstadt näher anschaut, liegt die Antwort und die Begründung dafür auf der Hand.“
Antwort und Begründung auf diese Frage bleiben jedoch aus. Anstatt die angekündigte, klare und logische Antwort zu geben, werden die Städte Graz und Salzburg als Beispiele für Mittelstädte genannt. Bezüglich Graz werden dem Leser_der Leserin lediglich Namen von Organisationen und Bündnissen weitergeben. Diese Auflistung hat für den Leser_die Leserin allerdings keinerlei Mehrwert; die Konsequenzen, die die genannten Organisationen und Bündnisse für die Stadt mit sich bringen und was für einen Mehrwert sie in der praktischen Umsetzung der sog. Menschenrechtsstadt haben wird nicht erläutert. Beim Beispiel zu Salzburg wird zwar deutlich mehr Information weitergegeben, allerdings erfolgt trotzdem maßgeblich „Name-dropping“ von Initiativen. Werden selbige erklärt, dann nur oberflächlich und nicht auf praktischer Ebene; das „wie“ der Umsetzung wird nicht erklärt.
Demnach liefert der Text allenfalls eine Idee und einige Namen, die man sich nach dem Lesen noch genauer besehen und so eine eigene Meinung bilden könnte. Der Text für sich überliefert allerdings keine Argumente, nichts stichhaltiges, nichts wirklich verwertbares.
Ich persönlich würde mich freuen, würde das Konzept so wie es ist auch funktionieren. Doch nachdem ich in sowohl Graz als auch Salzburg gelebt habe kann ich sagen: so ganz funktioniert es nicht. Eine Stadt der Menschenrechte scheint nicht so schwer erreichbar zu sein wie ein gänzliches Utopia, doch ist eine Stadt der Menschenrechte doch immer erstmal eine Stadt der Menschen. Damit ergeben sich auch für sie die grundlegenden Probleme, die auftauchen, wenn Menschen zusammenleben. Denn „Die Stadt“ ist schwer zu definieren. Sind alle Menschen „die Stadt“? Ist es die Verwaltung? Ist es eine Niederschrift (Verfassung)? Ist es die Exekutive? So und so werden (fast) alle Handlungen letztendlich von freien Menschen ausgeführt.